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Ziviles Engagement stärken

Friedensforscher Jörg Calließ sieht Bundeswehr "noch für längere Zeit" in Afghanistan

Magdeburg. Im Rahmen der Ökumenischen Friedensdekade haben am 8. November im Magdeburger Roncalli-Haus Afghanistan-Experten über Friedensperspektiven, militärisch- zivile Missverhältnisse und schwierige Machtstrukturen in dem asiatischen Land diskutiert.

Friedensethiker Joachim Garstecki überreicht Oberst Kai Ronald Rohrschneider einen neuen Aufnäher

Möglichen lautstarken Gegnern des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr wollte Oberst Kai Ronald Rohrschneider gleich zu Beginn den Wind aus den Protestsegeln nehmen: "Wir Soldaten sollten den Einsatz eigentlich hier nicht rechtfertigen, sondern lediglich den Auftrag ausführen." Vielmehr müssten Bürger und Politiker als Auftraggeber auf dem Podium sitzen und das Einsatzziel erklären, versuchte der Bundeswehr- Kommandeur die Rollenverteilung klarzustellen.

Trotzdem spürte auch der Soldat im Generalstab mit seiner rund einjährigen Afghanistan-Erfahrung der Frage des Abends nach: "Wie wird Frieden in Afghanistan?" Rein militärisch sei das nicht zu lösen, da die aufständischen Taliban noch einen zu großen Rückhalt in der Bevölkerung hätten, bekam der Leipziger Oberst Unterstützung von Friedensforscher Jörg Calließ. Deshalb sei ein Umdenken gefragt und habe mit der Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar auch schon begonnen, um die zivile Aufbauleistung zu erhöhen.

Trotz der angestrebten Verdopplung dieser Arbeit beklagte Rohrschneider: "Das Missverhältnis zwischen militärischer und ziviler Leistungen bleibt bestehen." Konkret zeigte er das am deutschen Wiederaufbauteam in Kunduz, wo den etwa 1200 Soldaten statt drei dann sechs Beamte für die zivile Aufbauleistung gegenüberstünden. "Es gelingt uns nicht, den zivilen Anteil zu vergrößern", bilanzierte der Offi zier nach acht Jahren Internationaler Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) nur lokale Verbesserungen in dem Land, was fast doppelt so groß ist wie Deutschland. Die Situation könne sich insgesamt nicht verbessern, solange die Afghanen kein Vertrauen in die neu aufgebauten staatlichen Strukturen gewinnen, glaubt Rohrschneider.

Damit war auch schon das zentrale Problem angesprochen, welches international falsch eingeschätzt worden sei, waren sich der Soldat Rohrschneider, der Friedensforscher Calließ und die Beraterin für Friedenskonsolidierung Cornelia Brinkmann einig: Zwar ist das Land formal "extrem zentralistisch organisiert", verglich es der Bundeswehr-Oberst mit Frankreich. Aber die traditionelle afghanische Zivilgesellschaft sei überhaupt nicht mit einer westlichen zu vergleichen und organisiere sich über personelle Bezüge statt über staatliche Strukturen.

Deshalb gilt es, beim Verwaltungsaufbau "eine Balance zu fi nden zwischen der Formalstruktur und den realen Machtstrukturen", sagte Jörg Calließ. Dafür sei eine militärische Sicherung weiterhin notwendig. "Ich halte es für falsch, die Bundeswehr jetzt abzuziehen. Sie wird noch für längere Zeit im Land bleiben", meinte der Professor der TU Braunschweig.

Statt einer "vernetzten Sicherheit" solle besser eine "vernetzte Friedensförderung" angestrebt werden, denn die Zivilgesellschaft und das zivile Engagement müssten gestärkt werden. Darüber sei im Bundestag noch gar nicht gesprochen worden, ärgerte sich der 69-Jährige.

Wie so ein ziviles Engagement konkret aussehen kann, davon berichtete Cornelia Brinkmann aus ihrer eigenen Erfahrung im "Peacebuilding" (Friedenskonsolidierung) in Afghanistan. Sie zeigte, wie unterschiedlich und undurchsichtig die Machtstrukturen auf der Dorfebene sein können, aber auch wie vorbildhaft bestimmte Aufbau- und Trainingsleistungen konfl iktberuhigend auf die Nachbarschaft ausstrahlen können.

Am Ende der fast dreistündigen Diskussionsrunde mit etwa 80 Zuhörern fehlte manchem Gast bei den Diskutanten die "Entrüstung über den Krieg", die das Motto der diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade doppeldeutig in sich trägt: "Es ist Krieg. Entrüstet euch!" Moderator Joachim Garstecki vom Ökumenischen Arbeitskreis Magdeburg schloss die Veranstaltung, die auch in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung organisiert worden war, mit der Feststellung, der Abend habe gezeigt, wogegen wir uns entrüsten sollen.

Von Uwe Naumann

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