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Wachsam ja, misstrauisch nein

Was katholische Schulen gegen sexuellen Missbrauch unternehmen können

Erfurt. Was können Schulen tun, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen und betroffenen Schülern zu helfen? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer gemeinsamen Fortbildung für Verantwortliche katholischer Schulen in den Bistümern Erfurt, Dresden-Meißen und Magdeburg.

"Woran erkenne ich, dass ein Schüler möglicherweise missbraucht wurde?", wollte ein Lehrer während der Erfurter Fortbildung wissen. "Gar nicht", lautete die unmissverständliche Antwort des Experten. Ernüchterung löste der Jenaer Kinderpsychiater Professor Bernhard Blanz mit seiner Antwort aus, zugleich bot er den anwesenden Pädagogen aber auch Entlastung von Selbstvorwürfen für den Fall, dass sich Opfer offenbaren: "Ich hätte dem Kind helfen können, wenn ich nur genauer hingeschaut hätte ..."

So einfach ist es in der Regel nicht, machte Bernhard Blanz deutlich. Unterschiedlichste psychische Auffälligkeiten können die Folge sexuellen Missbrauchs sein, umgekehrt kann es für jede psychische Auffälligkeit unterschiedlichste Ursachen geben. Eine Chance zu helfen hätten Lehrer nur, wenn sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Schülern hätten. Empfehlenswert sei es dann, ein Gesprächsangebot zu machen: "Du kommst mir in letzter Zeit so verändert vor. Wenn du irgendwann mal mit mir reden möchtest, kannst du gerne kommen ..."

Mit der Zusage, das Gesagte keinem Dritten weiterzusagen, sollten die Pädagogen dagegen lieber vorsichtig sein. Unter Umständen könnte es wichtig sein, Therapeuten zu Hilfe zu holen oder Anzeige gegen den Täter zu erstatten. "Machen Sie keine Versprechungen, von denen Sie nicht absolut sicher sind, sie einhalten zu können", riet Blanz. Für missbrauchte Kinder und Jugendliche sei ein zusätzlicher Vertrauensbruch besonders schlimm.

Um Kinder vorbeugend gegen Missbrauch zu stärken, empfahl der Jenaer Psychiater, professionellen Präventionsprogramme zu nutzen, das Thema Missbrauch aber auch in den alltäglichen Unterricht einfl ießen zu lassen. Förderlich sei in Schule und Familie eine Erziehungshaltung, die selbstbestimmtes Handeln unterstütze, das Vertrauen in die eigenen Gefühle stärke, Risikofaktoren aufzeige, ohne aber allzu misstrauisch zu machen, und Handlungsmöglichkeiten aufzeige.

Es helfe Kindern, mit ihnen gerade auch über ihre ambivalenten Gefühle zu reden und sie darin ernst zu nehmen. Sie mögen beispielsweise ihre Oma, nicht aber deren Küsse ...

Kinder bräuchten eine Privatsphäre. Erzieher müssten einen Weg fi nden, diese zu respektieren und trotzdem die nötige Kontrolle auszuüben. Sie sollten ermutigt werden, Hilfe zu holen, selbst dann, wenn es ihnen verboten wurde.

Auch Pädagogen können Täter sein. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, legten alle Referenten der Fortbildung den anwesenden Vertretern katholischer Schulen nahe. Der Vorsitzende Richter am Erfurter Landgericht, Holger Pröbstel, berichtete von einem Prozess gegen einen Grundschullehrer, der jahrelang Schüler missbraucht hatte. Seit Jahren wussten sämtliche Kollegen davon, aber alle schwiegen, um den Ruf der Schule nicht zu gefährden. "Mit einem solchen Verhalten tun Sie Ihrer Institution keinen Gefallen", schärfte Pröbstel den Lehrern ein.

"So etwas gibt es bei uns nicht!" - Institutionen, die Derartiges von sich behaupten, haben nach Ansicht von Professor Blanz keine guten Vorausetzungen, Missbrauch im eigenen Hause zu verhindern.

Professor Myriam Wijlens, Kirchenrechtlerin an der Katholischen Fakultät der Universität Erfurt, hat es sich zur Angewohnheit gemacht, bei ihren Vorträgen über sexuellen Missbrauch die "Opfer, Täter und potenziellen Täter" unter ihren Zuhörern zu begrüßen. Bereits zweimal hat sie erlebt, dass Mitarbeiter, die mit ihr zusammen für die Kirche Leitlinien zum Umgang mit sexuellen Missbrauch erarbeiteten, selbst wegen Missbrauchs verhaftet und verurteilt wurden. "Wir sollten das Thema nicht nur von außen betrachten", forderte Myriam Wijlens. Anstelle einer Kultur des allgemeinen Misstrauens bräuchten Kirchen, Schulen und andere Institutionen, denen Kinder anvertraut würden, nun aber eine Kultur der wachen Aufmerksamkeit und des offenen Gesprächs, meint die Kirchenrechtlerin.

"Sprechen Sie Dinge an, die Ihnen selbst merkwürdig vorkommen. Beraten Sie sich mit anderen, wenn Sie unsicher sind, wie sie sich in heiklen oder missverständlichen Situationen verhalten sollen", empfahl Professor Wijlens. Katholische Schulen könnten im Übrigen vom "internationalen katholischen Netzwerk" profi tieren. In Ländern wie Kanada, den Niederlanden oder den USA sei man den Deutschen bei der Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen um viele Jahre voraus. Den Austausch mit katholischen Schulen in diesen Ländern hält die Professorin nicht nur in der Missbrauchs-Thematik für vielversprechend.

Von Dorothee Wanzek

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