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Wenn Kirche das Dorf verlässt

Zum Beispiel Rackwitz: Der letzte Gottesdienst in der St.-Raphaels-Kapelle

Rackwitz. Die Zahl nicht mehr benötigter Gottesdiensträume fällt im Tag des Herrn-Verbreitungsgebiet zwar längst nicht so ins Gewicht wie etwa im Bistum Essen, doch auch bei uns wurden in den letzten fünf Jahren mehr als 30 Kapellen und Kirchen profaniert. Jüngstes Beispiel: Die St.-Raphaels- Kapelle in Rackwitz.

Gemeindeverbunds- Kooperator Pfarrer Ulrich Schade entnimmt der Rackwitzer Altarplatte im Anschluss an die letzte Eucharistiefeier die Reliquien. Zwei Tage später wurde der Altar zerlegt und abtransportiert.


Rund 52 Jahre nach der Segnung der Raphaels-Kapelle wurde in der früheren Fahrradwerkstatt am 29. März zum letzten Mal Eucharistie gefeiert. Von einer einstmals blühenden Gemeinde waren in letzter Zeit nicht einmal mehr zehn Rentner übrig. "Etliche haben anderswo Arbeit gefunden, viele haben auch dem Glauben den Rücken gekehrt", erklärt Rosemarie Scharf den Gemeindeschwund. Mit ihrem Mann Manfred hat sie in den letzten zwölf Jahren die ehemalige Pfarrerwohnung über der Kapelle bewohnt und von dort aus das Rackwitzer Gemeindeleben hochgehalten.

Dass man an der Kapelle nicht festhalten sollte, bis der letzte Rackwitzer Gottesdienstbesucher zu Grabe getragen worden ist, war einhellige Meinung unter allen Beteiligten im Gemeindeverbund Delitzsch. Doch: Wann ist der richtige Moment für einen Schlussstrich? Ohne dies beabsichtigt zu haben, war es letztlich das Ehepaar Scharf selbst, das mit seinen Umzugsplänen den konkreten Anlass gab für Verkauf und Profanierung der Kapelle. Ohne das rührige Ehepaar auf dem Kirchengrundstück war der Erhalt der Kapelle nicht mehr vorstellbar, erläutert der zuständige Delitzscher Pfarrer Michael Poschlod. Hinzugekommen sei der Umstand, dass sich eine geeignete Familie fand, die das Gebäude kaufen wollte und es künftig komplett als Wohnhaus nutzen wird.

"Abschied nehmen gehört zum Christsein"


Bei der letzten Eucharistiefeier in der St.-Raphaels-Kapelle blieben Rosemarie und Manfred Scharf nicht allein mit der kleinen Stammgemeinde, die hier noch vierzehntäglich am Samstagnachmittag zum Gottesdienst zusammenkam. Die Kapelle fasste längst nicht alle, die diese heilige Messe mitfeiern wollten. Um den Altar waren sieben Priester versammelt, die mit der Gemeinde in Verbindung standen oder stehen, darunter der Torgauer Dechant Pater Ansgar Schmidt. Er verwies die Gemeinde in seiner Ansprache auf ihren Patron, den Erzengel Raphael: "Er ist ein guter Wegbegleiter und hält uns vor Augen, dass wir als Christen immer wieder Abschied nehmen müssen, weil das Unterwegs-Sein zu unserem Glauben dazugehört."

Pfarrer Michael Poschlod rief die ungezählten Gebete in Erinnerung, die Trauungen, Tauf- und Erstkommunionfeiern, die in fünf Jahrzehnten in der Kapelle vollzogen wurden: "Es gab Augenblicke, in denen sich hier Himmel und Erde berührt haben. Das sind bleibende Erfahrungen. Wir nehmen all das mit", sagte er in seiner Predigt zum Tagesevangelium über das Weizenkorn, das sterben muss, um reiche Frucht bringen zu können: "Es ist schwierig, diesen Schritt zu vollziehen, aber es ist notwendig, damit neues Leben möglich ist", betonte der Pfarrer.

Die eigentliche Entwidmung geschah am Ende des Gottesdienstes: Pater Ansgar las ein Profanierungs- Dekret des Magdeburger Bischofs Gerhard Feige vor. Anschließend wurden die Reliquien aus der Altarplatte entfernt. Die übrig gebliebenen Hostien hatten die Priester während der Kommunion bereits verzehrt. Nachdem der Tabernakel leer war, wurde das Ewige Licht gelöscht. In den folgenden Tagen sollten alle kirchlichen Einrichtungsgegenstände entfernt werden. Doch zunächst einmal traf man sich zum Kaffee in einem Gasthaus, tauschte Erinnerungen aus, brachte seine Betroffenheit zum Ausdruck.

"Es geht einem schon nahe", sagt Edmund Boegel aus dem Nachbarort Lemsel, der häufig Gottesdienstbesucher aus umliegenden Dörfern mit dem Gemeindebus nach Rackwitz gefahren hat. "Ich habe schon mehrmals erlebt, dass Kapellen entwidmet wurden, doch bisher war es immer so, dass eine neue, schönere Kirche daneben stand. Da fiel der Abschied natürlich leichter."

Andernorts freut man sich über die Verstärkung


Rosemarie Scharf empfand es als stärkend, in einem so festlichen Gottesdienst Abschied nehmen zu können von ihrer Kapelle. "Mir wird besonders in Erinnerung bleiben, wie schön wir hier gefeiert haben", erzählt sie. Erntedankfest zum Beispiel: "Da habe ich immer ein Brot backen lassen mit einem Kreuz, und wenn das Wetter noch gut war, haben wir nach der Messe bei Brot und Wein zusammengesessen unter dem Vordach, das wir für solche Zwecke selbst gebaut haben." Auch wenn Scharfs mittlerweile im Nachbardorf Podelwitz wohnen, wollen sie weiter Ansprechpartner bleiben für die Katholiken in Rackwitz. Gern würden sie auch die Gastfreundschaft annehmen, die die evangelische Pfarrerin von Podelwitz beim Abschiedsgottesdienst anbot. "Warum sollten wir nicht mal eine Maiandacht in der evangelischen Kirche halten?", schlägt Rosemarie Scharf vor und erinnert sich dabei an all die Maiandachten, zu denen auch Katholiken aus Nachbargemeinden immer wieder gerne nach Rackwitz kamen. Sonntagsgottesdienste will sie künftig vor allem in Lehelitz mitfeiern, einer nur unwesentlich größeren Gottesdienststation des Gemeindeverbunds. Und hat dabei die Worte im Ohr, die Pfarrer Poschlod in seiner Predigt sagte: "Andernorts wird man sich über die Verstärkung durch Sie freuen!"


Hintergrund

Entwidmungen der letzten fünf Jahre

Die meisten Gottesdiensträume, die seit 2004 aufgegeben wurden, stehen im Bistum Magdeburg. Mehr als 20 sind es hier, von kleinen Kirchen bis hin zur ehemaligen Kneipe, darunter auch alte Kapellen, die durch einen Neubau ersetzt wurden oder die Jeßnitzer Kirche, die dem Hochwasser von 2002 zum Opfer fiel. Von der im Vergleich zu den Nachbarbistümern höheren Zahl der Profanierungen auf einen Katholikenrückgang in gleicher Proportion zu schließen, wäre jedoch falsch. Der gegenwärtige Umstrukturierungsprozess im Bistum Magdeburg rückt die nur noch wenig genutzten Sakralräume hier stärker ins Bewusstsein. Die neu gegründeten Gemeindeverbünde sind gehalten, für alle Immobilien, die sie dauerhaft nutzen wollen, finanzielle Rücklagen zu bilden. Die Trennung von einer weitgehend leerstehenden Immobilie ist somit als Entlastung im Haushalt der Gemeinden vor Ort unmittelbar spürbar.

Im Bistum Dresden-Meißen sind zwei Filialkirchen und vier Kapellen profaniert worden, darunter die Hauskapelle des aufgegebenen Altenpflegeheimes in Maxen und eine Privatkapelle in Schloss Lichtenstein in Hohenstein- Ernstthal. Für eine weitere profanierte Kirche in Zwickau-Planitz entstand ein Ersatzbau. Im Bistum Erfurt wurden nur zwei Kapellen aufgegeben, in Rottenbach und in Oberweißbach. Im Bistum Görlitz waren es in den vergangenen fünf Jahren drei Kapellen, in Heideblick- Gehren, in Rückersdorf und in Schorbus.


Von Dorothee Wanzek

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