Jeden Schüler ernst nehmen
Katholische Elternschaft Deutschlands diskutierte bei Kongress in Magdeburg Schulfragen
"Andere Kinder - andere Bildung. Chancen für alle - Utopie oder reales Ziel?" So hatte die Katholische Elternschaft Deutschlands (KED) ihren Bundeskongress überschrieben, der vom 27. bis 29. März in Magdeburg stattfand. Am Ende der Tagung fiel die Botschaft - obgleich im Verlauf durchaus kontroverse Positionen vertreten wurden - sehr klar aus: Jenseits aller Debatten um die geeignetsten Schulformen geht es vor allem um die innere Arbeit in den Kindertagesstätten und an den Grund- und weiterführenden Schulen, die berücksichtigt, dass jedes Kind anders ist.
Dabei müssten die Vermittlung von fachlichen und sozialen Kompetenzen gleichwertige Erziehungsziele sein. Es gelte das Selbstbewusstsein aller Kinder - unabhängig von ihrer Herkunft - zu fördern. Dies könne nur in einem angstfreien, anregenden Lernklima geschehen, so die Elternschafts-Vertreter. Zudem komme es darauf an, die Durchlässigkeit von einer zur anderen Schulform zu erhöhen und für unkomplizierte Anschlüsse ins Berufsleben zu sorgen.
Sachsen-Anhalts Kultusminister Professor Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) warnte angesichts der demografischen Entwicklung vor "apokalyptischen Angstszenarien" hinsichtlich der Bildungslandschaft. Der Kultusminister berichtete, dass sich in Sachsen-Anhalt im zurückliegenden Jahrzehnt die Zahl der Schüler halbiert (!) habe. Folge seien Schulfusionen, aber, wo sinnvoll und notwendig, auch verkleinerte Schulen. Vor allem komme es auf gute Bildungskonzepte an. Diese seien entscheidend, damit die Generation der heutigen Kinder die Situation in den nächsten Jahrzehnten meistern kann.
In diesem Zusammenhang warb Olbertz, der selbst drei Kinder hat, für das Ja möglichst vieler zu eigenen Kindern: "Es müsste doch möglich sein, in dieser Gesellschaft Verhältnisse hinzubekommen, in denen es möglich ist, Kinder zu kriegen und dennoch im Beruf zu stehen", so der Minister.
Um den Schülern ein erfolgreiches, nachhaltiges Lernen zu ermöglichen, müsse man angesichts des "Traumas über die Fülle des Wissens" Mut zur Begrenzung aufbringen, sagte der Erziehungswissenschaftler. Dabei gelte es zu schauen, welches Wissen "über den Generationenwechsel hinweg erhaben ist" und dieses zu vermitteln. Eine gute Schule, so Olbertz weiter, habe nicht die Aufgabe, die gesellschaftlichen Gebrechen zu beheben. Stattdessen habe sie "jedes Kind stark zu machen", damit die Kinder später eine starke Gemeinschaft bilden können. Dabei komme es nicht so sehr auf die Schulstrukturen, sondern darauf an, jedem Kind "Erfolg zu organisieren". Schule müsse für eine Kooperationskultur mit den Eltern und dem Lebensumfeld sorgen, könne aber nicht die Aufgaben übernehmen, die der Familie zukommen. Um die Familien zu stärken, seien Familien-, Arbeitsmarkt-, Finanzpolitik und andere Bereiche gefordert. Olbertz plädierte für eine starke Durchlässigkeit der verschiedenen Schulformen. Er habe "große Bedenken", wenn sich bereits Zehnjährige und ihre Eltern für eine Schulform entscheiden müssten.
Kein Land kann es sich erlauben, dass ein Drittel seiner Schüler in der Schule durchfällt, betonte Familienforscherin Gisela Erler in ihrem Referat. Frau Erler, die durch die Gründung des pme Familienservice Eltern dabei unterstützt, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, plädierte entschieden für das Angebot einer Ganztagsbetreuung. Eine solche sei auch angesichts der Tatsache unerlässlich, dass immer mehr Frauen nachmittags und abends arbeiteten. Frau Erler sprach sich für eine auf das einzelne Kind zugeschnittene Pädagogik in Kita und Grundschule aus, die vom Lernen in Kleingruppen geprägt sein müsse. "Die Familie darf nicht länger Schicksal sein", so die Familienforscherin angesichts der hohen Bedeutung der sozialen Herkunft für den Schulabschluss in Deutschland, wie sie auch der Erziehungswissenschaftler Rainer Lehmann von der Humboldt- Universität Berlin bestätigte. Hier komme den Erziehern und Lehrern eine entscheidende Rolle zu. Aber auch eine Einbeziehung des Schulumfeldes und gute Räume seien für den Erfolg der Schüler wesentlich.
Professor Lehmann betonte: Angesichts verschiedenster Untersuchungen bezüglich der fortbestehenden Leistungsdefizite deutscher Schüler im internationalen Vergleich "gewinne die Frage nach der Schulstruktur an Bedeutung". Zugleich sei der Ruf nach einem System nach skandinavischen Vorbildern in seiner Berechtigung nicht erwiesen. Die Untersuchung von Modellen etwa in Berlin, wo in einer sechsjährigen gemeinsamen Grundschulzeit leistungsschwache von leistungsstarken Schülern im Unterricht profitieren sollen, brächten uneinheitliche Ergebnisse. Lehmann: "Durch die sechsjährige Grundschule wird der nicht zuletzt durch die soziale Herkunft geprägte Bildungsstand nicht ausgeglichen."
Demgegenüber hält Oberschulrat im Kirchendienst (Katholischer Schulverband Hamburg) Marino Freistedt das Konzept einer sechsjährigen Grundschule, wie sie ab 2010 in Hamburg praktiziert werden soll, "für durchaus tauglich". Freistedt, der als CDU-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft angehört, sieht etwa in der Begrenzung der Grundschulklassen auf 20 Schüler eine wichtige Chance: "Der individualisierte Unterricht wird so sichergestellt." Freistedt, der Mitglied im Hamburger Schulausschuss ist, verlangt, die Ausbildung der Lehrer in puncto Diagnostik zu stärken, um bei den Kindern möglichst früh deren Begabungen zu erkennen und sie zu fördern. Der Bildungsexperte bemängelte, dass über 30 Prozent der Schüler aus bildungsnahen Schichten Nachhilfe in Anspruch nehmen müssen, um zu einem Schulabschluss zu gelangen. Da könne etwas nicht stimmen.
Wie Freistedt nahm auch Rainer Düchting aus Essen an der Podiumsdiskussion teil. Er ist Schulleiter der Hauptschule "Am Stoppenberg" in Essen, einer der wenigen katholischen Hauptschulen in Deutschland. Zu einer guten Hauptschule gehören für ihn "zuverlässige Zuwendung zu den Schülern, verlässliche Rahmenbedingungen, klare Strukturen, verschiedenste Lern- und Unterrichtsformen, gemeinsame Projekte, unterschiedliche Unterstützungssysteme, Perspektiven für Schüler und Lehrer, genügend Zeit". Die Hauptschule müsse Kindern in praktischer und theoretischer Richtung Perspektiven eröffnen.
Der Direktor der Edith-Stein- Schulstiftung in Magdeburg, Thomas Quecke, sprach sich für die Vielfalt der Schulformen und -träger aus. Dabei müsse die Sekundarschule ihr "ganz eigenständiges Profil entwickeln und praktizieren". Entscheidend sei, dass "die inneren Verhältnisse das Schulleben prägen". Beim Konzept des Marchtaler Plans, wie er - auf die Situation in Sachsen- Anhalt adaptiert - in den Schulen des Bistums Magdeburg immer mehr zur Geltung komme, spiele das christliche Menschenbild die entscheidende Rolle, so Quecke. "Auf dem Hintergrund dieses Menschenbildes sehen wir uns verpflichtet, jeden einzelnen Schüler ganz ernst zu nehmen." Die Einführung der Ganztagsschule scheine ihm für einen Teil der Kinder die richtige Form, so der Schulfachmann. Quecke plädiert unter anderem dafür, die Schüler in den unterschiedlichsten Feldern mit Verantwortung zu betrauen. Dies helfe nicht zuletzt auch den Schwächeren, ihre Kompetenzen zu stärken.
Nach Ansicht von Lehmann hingegen "generiert dies soziale Disparitäten": Die Kinder, die starke, leistungsfähige Eltern haben, können die übertragenen Aufgaben besser erfüllen, zum Beispiel auch, wenn es um die Nutzung der medialen Möglichkeiten geht. Lehmann wies auch kritisch darauf hin, dass es in der Lehrerschaft ein "merkwürdiges" Beieinander von pädagogischem Interesse an lernschwachen Kindern und der Anwendung von offenen Lernverfahren gebe, wo bekannt sei, dass Lernschwache von gut strukturierten Lernprozessen profitieren.
Einig waren sich die Diskutanden, wie wichtig es seitens der Eltern und Pädagogen ist, sich dem Kind intensiv zuzuwenden und sein Ich zu stärken, etwa, indem Lernerfolge und soziale Kompetenzen gewürdigt werden.
Von Eckhard Pohl