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Der Bischof und das Böse

Bischof Zdarsa besucht mit Jugendlichen Auschwitz-Birkenau / Gebet mit jungen Polen am Mahnmal

Tausendfacher Tod. Bestürzung. Unvorstellbar. Auch für Bischof Konrad Zdarsa. Er reiste am vergangenen Wochenende gemeinsam mit 40 Jugendlichen aus dem Bistum Görlitz und 30 polnischen Jugendlichen nach Auschwitz.

Fassungslosigkeit im Angesicht des Grauens: 70 Jugendliche begleitete Bischof Konrad Zdarsa auf ihrer Reise nach Auschwitz

Konrad Zdarsa nimmt sich Zeit. Er faltet seine Hände zum Gebet. Um ihn herum drängen sich die Jugendlichen. Zdarsas Blicke gehen sekundenlang ins Leere, wandern dann über nackte Wände, über Blumen und Kerzen. Er steht vor der Zelle 18 im Todesblock des Konzentrationslagers Auschwitz I. Es ist die Zelle, in der Pater Maximilian Kolbe 1941 qualvoll zu Tode hungerte. Steile Stufen führen in den Keller hinab, die Gänge sind eng, ein Seil trennt die Ströme von Touristen.

Bischof Zdarsa ist ein fröhlicher Mensch, der sich stets um den Kontakt zu den jungen Menschen bemüht. Im Reisebus scherzt er mit ihnen, unterhält sich schon mal beim Essen über "Deutschland sucht den Superstar" und kauft sich ein Eis bei McDonald‘s. Wenn er lacht, blitzen seine dunklen Augen unter seiner Brille hervor.

Die Fahrt ins ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gemeinsam mit 70 Jugendlichen wurde von der Jugendseelsorge im Bistum Görlitz organisiert. Sie ist Teil des Projekts "Nachbarn für Frieden 1939-2009". Dass er mitfährt, war für Bischof Zdarsa selbstverständlich, aber eine große Herausforderung. "Ich gehe nicht fröhlichen Schrittes", sagt er. Es ist seine erste Begegnung mit den grausamen Spuren, die das Nazi-Regime in Auschwitz vor mehr als 60 Jahren hinterließ. Gedrückt habe er sich all die Jahre nicht. Er hat schon die KZ Buchenwald und Flossenbürg besichtigt. Doch einen Ausflug nach Auschwitz mache man eben nicht einfach mal so.

Der Himmel ist strahlend blau, die zarten Bäume säumen die Straßen und zeigen ihre ersten Blätter, nur der Wind wirbelt etwas Sand auf. Friedlich liegen sich die zweistöckigen Backsteinhäuser in Auschwitz I gegenüber. Vor ihren Türen hängen Laternen, die die Block-Nummern eins bis 28 tragen.

Der Bischof hört den Erklärungen von Touristenführerin Eva Pasterak aufmerksam zu. Immer wieder schüttelt er betroffen den Kopf. Einen Daumen hat er an den Gürtel geklemmt, so als müsse er sich irgendwo festhalten. Es ist viel los in den Ausstellungsräumen und kaum Zeit, alle Tafeln und Dokumente zu lesen. Ständig rücken Gruppen nach.


"Was für eine Maschinerie", sagt er leise

Von Hunderten von Fotos starren kahlrasierte Gefangene auf den Besucher. Ihre Blicke flehen, zeigen die Erschöpfung, die Angst. Wie alle anderen auch wird Zdarsa vorbeigeschleust an dem, was die SS den Gefangenen abnahm: Schuhe, Koffer, Brillen, Gebet- Schals, Töpfe und ihre Haare. "Was für eine Maschinerie", sagt er leise. "Wenn man nur bedenkt: Hinter jedem Haar, hinter jedem Gegenstand steht ein Menschenschicksal."

Auch Andreas Titze ist bestürzt. Der 16-jährige Cottbuser geht allein über das Gelände von Auschwitz II, besser bekannt als Auschwitz-Birkenau. Das ehemalige Vernichtungslager liegt nur drei Kilometer entfernt vom Lager I und ist die zweite Station der Jugendgruppe. Jugendseelsorger Roland Elsner hatte sie aufgefordert, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen.

Titze stützt sich auf ein Holzgeländer und schaut den Gleisen bis zum Todestor nach. Das Grün der Wiesen zwischen den Baracken ist satt. Hunderte rote Schornsteine ragen in den Himmel. Sie sind die Überreste von Behausungen, die die Nazis vor ihrer Flucht zerstörten. Wo der 16-Jährige steht, stoppten einst die Viehwaggons. 1,5 Millionen Menschen wurden zu den Gaskammern getrieben und getötet.

Bei Andreas Titze und seinen Freunden hinterlässt Auschwitz Fassungslosigkeit. "Auch Wut", sagt Carolin Teichert. Die 17-Jährige kann nicht begreifen, dort gewesen zu sein, wo so viele Menschen durch Willkür starben. Den Bischof kannte sie nur flüchtig von Vorbereitungskursen auf die Firmung. Als sie hörte, dass er die Fahrt begleitet, sei sie nervös geworden. "Doch jetzt weiß ich, dass er locker ist", sagt sie und grinst.

Andreas Titze geht die Schienen entlang und schließt sich Zdarsa an. Der Bischof weist niemanden von sich. "Es ist wichtig, dass wir der Jugend verklickern, warum uns Auschwitz noch etwas angeht", sagt er. Einfach so erwarten, könne man das nicht: "Als ich in die Schule kam, war das Grauen fünf Jahre her. Für die heutige Generation liegt ja der Mauerfall schon 20.Jahre zurück." Deshalb dürfe man bei Antisemitismus nicht nur aufschreien, sondern müsse auch erklären, warum.

Die polnischen Jugendlichen bleiben an dem Tag eher für sich. Die Sprache macht es schwer, Kontakte zu knüpfen. Zdarsa und Jugendseelsorger Roland Elsner, der gebürtiger Pole ist, wissen um die Probleme der deutsch-polnischen Verhältnisse. Besonders in der Grenzregion sei es kompliziert. Viele Vorurteile herrschen. Eine Fahrt wie diese bringe die Beziehungen voran, davon ist Zdarsa überzeugt: "Jeder Weg hat seinen ersten Schritt."

Wo die Bahngleise enden, stehen die Ruinen der Krematorien und Gaskammern. 20 Gedenkplatten in 20 Sprachen liegen vor dem Mahnmal. Die 70 Jugendlichen bilden einen Kreis. Jeder trägt einen Stein bei sich, den er nach dem Gebet auf die Tafeln legen wird. Der Bischof hat einen hellen, runden Stein mitgebracht. Vor mehr als 35 Jahren hat er ihn in Neuzelle gefunden. Kurz vor seiner Priesterweihe war das. Zufällig bei einem Spaziergang. In Auschwitz lege er ihn gerne nieder, sagt er. Als einen Teil von sich, so wie es die jüdische Tradition verlangt.


Konfrontation mit der geballten Macht des Bösen

Die Jugendlichen stimmen ein Lied an: "In deinen Toren werd‘ ich stehen, du freie Stadt Jerusalem." Einst sangen es die Juden auf ihrem Weg in die Gaskammer, um weniger Angst vor dem Tod zu haben. Der Bischof ist tief bewegt. "Auschwitz bedeutet, mit der geballten Macht des Bösen konfrontiert zu werden", sagt er und rollt dabei den Stein in seiner Hand.

Von Ulrike Worlitz (Redakteurin der Lausitzer Rundschau)