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Anstoß

Von Gesunden, Kranken und einem
unberechenbaren Arzt

Guido Erbrich

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind das erste Mal in der Gemeinde hinter vorgehaltener Hand hörte, dass die und der jetzt geschieden sind. Es waren die 70er Jahre und bisher war mir klar, dass es so etwas in der Kirche nicht gibt. Die waren doch katholisch - nein, verstehen konnte ich es nicht. Klar, dass die und der fortan nicht mehr in der Kirche zu sehen waren. Hier gehörten sie ja auch nicht hin.

Später hörte ein junger Kaplan auf, Kaplan zu sein. Es war völlig verständlich, dass er über Nacht verschwand, irgendwo in die Wüste des Nachbarbistums zur Besinnung geschickt wurde und nicht mehr gesehen ward. Alles andere wäre auch ein Ärgernis gewesen und guten Christen schlicht nicht zumutbar.

Und dass die mit dem falschen Mann lebende Pädagogin fortan natürlich keine Christen mehr weiterbilden darf, ist auch mehr als verständlich - so eine Provokation muss keiner aushalten müssen. Wenn dann noch das junge Paar unverheiratet zusammenlebt, dann sollte denen auch ruhig mal ganz klar gemacht werden, dass sie, solange das nicht in Ordnung ist, mit der Kommunion aussetzen sollten.

"Als die Schriftgelehrten, die zur Partei der Pharisäer gehörten, sahen, dass er mit Zöllnern und Sündern aß, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann er zusammen mit Zöllnern und Sündern essen? Jesus hörte es und sagte zu ihnen: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten" (Mk 2,16 f).

Jesus geht zu denen, bei denen etwas schiefgegangen ist. Er stellt keine Vorbedingungen und es wird ihm sehr klar gewesen sein, wie provokant das für die Frommen jeder Zeit war und ist. Für diese Stelle in der Bibel müssten wir unendlich dankbar sein. Gott gibt uns nicht auf, besonders dann nicht, wenn wir es brauchen. Und er ermahnt uns, wenn wir scheinbar mit uns und der Welt im Reinen sind, und so ganz genau wissen, wie Glauben geht, dass er eigentlich nicht vorhat, sich dann all zu sehr um uns zu kümmern. Hier ist eine der großen Hürden unseres Glaubens aufgestellt: Zum einen sollen wir uns natürlich mühen, so gottgefällig wie möglich zu leben. Aber wir dürfen, wenn es nicht geklappt hat, auf eine überraschende göttliche Verzeihung hoffen. Und diese Verzeihung wird größer sein, als die Begrenztheit von uns Menschen, Gott diesen Großmut zuzutrauen. Wenn Gott uns einlädt, an seinem Reich mitzubauen, dürfen wir auch Vertrauen wagen. Wenn Gott uns zutraut, seiner vergebenden Gnade Tür und Tor zu öffnen, sollten wir nicht allzu viel Energie darauf verschwenden, Zugänge zu vermauern. Das passt einfach nicht zu der Verkündigung des Gottes, der die Liebe ist.

Guido Erbrich, Magdeburg

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