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Kein Ende in Sicht

Manfred May berät SED-Opfer / Auch 20 Jahre nach Ende der DDR reißt der Bedarf nicht ab

Suhl / Saalfeld. Seit über 20 Jahren gibt es die DDR nicht mehr. Aber viele von denen, die damals Unrecht erlitten, leiden noch heute. Einer, der mit diesen Menschen zu tun hat, ist Manfred May. Der Caritasmitarbeiter berät SEDOpfer.

Manfred May

Zwangsausgesiedelte, politische Häftlinge, Opfer von Zersetzungsmaßnahmen der Stasi, verfolgte Schüler, Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugung berufliche Nachteile in Kauf nehmen mussten - zu Manfred May kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten. Ihnen allen gemeinsam ist: Sie suchen Rehabilitierung, Wiedergutmachung für das Leid, das sie zu DDR-Zeiten erfahren haben.

Manfred May ist einer von drei Mitarbeitern der Thüringer Beratungsinitiative für SED-Opfer. Sie soll Betroffene bei der Klärung ihres Falles unterstützen. Eingerichtet wurde sie 2002 vom Landesbeauftragten für die Stasi- Unterlagen. Träger ist der Caritasverband des Bistums Erfurt. Die Finanzierung erfolgt aus Fördermitteln.

Als der Bundestag Anfang der 1990er Jahre das erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz verabschiedete, dachte man, dass die Aufarbeitung des SED-Unrechts schnell abgeschlossen sein würden. "Das war ein Irrtum", sagt Manfred May. Deshalb ist das Gesetz inzwischen mehrmals überarbeitet und die Antragsfrist bis 2019 verlängert worden.

Nach wie vor kann Manfred May sich deshalb nicht über mangelnde Arbeit beklagen: Der Zustrom der SED-Opfer reißt nicht ab. Er und die beiden anderen Mitarbeiter der Beratungsinitiative haben im Jahr mit mehrere hundert Beratungen zu tun. Über 20 Jahre nach dem Ende der DDR geht die Zahl der Betroffenen zwar allmählich zurück, aber: "Die Fälle werden komplizierter und vielschichtiger", sagt Manfred May. Auch der Anspruch an die Gespräche steigt: "Zunehmend sind auch seelsorgerliche Qualitäten gefragt", denn die Betroffenen leiden oft nicht nur an dem erlittenen Unrecht. Sie haben soziale Probleme, Schwierigkeiten in der Familie oder Suchtkrankheiten. Außerdem werden mit zunehmendem Alter die gesundheitlichen Folgen der Haftbedingungen spürbarer. Eine Studie aus dem Jahr 2008 zur sozialen Lage der SED-Opfer in Thüringen sagt, dass es der Mehrheit der Opfer heute signifikant schlechter geht als der Gesamtbevölkerung. Zehn Prozent von ihnen müssen danach als arm gelten. Ihr Gesundheitszustand ist deutlich schlechter.

In den letzten 20 Jahren ist für SED-Opfer einiges getan worden. Ist Manfred May damit zufrieden? "Der Ansatz ist richtig", sagt er. Wer aus politischen Gründen in Haft saß, erhält pro Haftmonat 306,78 Euro Entschädigung und hat - wenn sein Einkommen bestimmte Grenzen nicht überschreitet - seit 2007 Anspruch auf einen Opferrente. Wer berufliche Nachteile in Kauf nehmen musste, erhält einen Rentenausgleich. Zwangsausgesiedelte bekommen ihre Immobilie zurück oder eine Entschädigung. "Aber es gibt große Gruppen, die von den Regelungen nicht erfasst werden", beklagt Manfred May. Dazu gehören die Opfer von Stasi-Zersetzungsmaßnahmen und die verfolgten Schüler. "Man merkt den Gesetzen an, dass sie mit dem rudimentären Wissen der 90er Jahre über die DDR-Diktatur gemacht worden sind", sagt May.

Eine große Gruppe von SEDOpfern spielt erst in jüngster Zeit eine Rolle. Seit etwa eineinhalb Jahren kommen zu Manfred May Menschen, die zu DDR-Zeiten in Kinderheimen oder Jugendwerkhöfen untergebracht waren. Im Mai 2009 weckten Medienberichte über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bei den Betroffenen euphorische Hoffnungen auf Entschädigung. Viele von ihnen brachen ihr Schweigen und vertrauten Manfred May und seinen Kollegen ihre Lebensgeschichte an. "Für viele war ich der erste Gesprächspartner über die Zeit des Heimaufenthalts, die die Betroffenen aus Scham und Schuldgefühlen über Jahrzehnte sogar ihren engsten Angehörigen verschwiegen haben", sagt Manfred May.

Schon nach den ersten Gesprächern war Manfred May klar, dass es sich bei den DDR-Heimkindern um ein Problem mit besonderer Qualität und Quantität handelt. Heute - inzwischen hat er mit etwa 350 Betroffenen gesprochen - sagt er: "Der Umgang der DDR mit den Kindern und Jugendlichen, die in Heimen untergebracht wurden, wirft für mich ein ganz neues Licht auf den heute mitunter so hochgelobten fürsorglichen DDR-Sozialstaat." Natürlich hatte auch der DDR-Staat eine Fürsorgepflicht. "Das ist nicht kritisierbar, die Art und Weise der Umsetzung sehr wohl. Weder die Einweisungsverfahren noch der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen halten rechtsstaatlichen Kriterien stand."

In der DDR gab es 25 000 bis 30 000 Plätze in Kinderheimen. Dazu kamen Spezialheime mit 6000 Plätzen für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche und die Jugendwerkhöfe. Sozusagen an der Spitze des Systems stand der geschlossene Jugendwerkhof Torgau, der eher ein Gefängnis als ein Heim für Jugendliche war. Doch auch in den anderen Einrichtungen war Gewalt an der Tagesordnung. Es kam zu Misshandlungen und sexuellem Missbrauch. "Die Heime waren keine Sozialeinrichtungen, sondern sie unterstanden der Volksbildung, weil sie Einrichtungen zur Umerziehung waren. Und die Erziehungsziele wurden dabei durch die herrschende Ideologie vorgeschrieben", sagt Manfred May.

Trotz allem: Momentan sind die Chancen für eine Wiedergutmachung für DDR-Heimkinder schlecht. Manfred May schätzt, höchstens zehn Prozent derer, mit denen er gesprochen hat, haben eine Erfolgschance. Das sind vor allem diejenigen, die im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau waren, denn sie zählen als politisch Verfolgte. Für die übrigen 90 Prozent gibt es zurzeit keine gesetzliche Möglichkeit. "Aber es wird daran gearbeitet", sagt Manfred May. In Thüringen gibt es einen Runden Tisch. Und an der Uni Jena wurde ein Forschungsprojekt gestartet. Hier soll geklärt werden, was die DDR-Heimerziehung aus den Menschen gemacht hat. "Jeder Gedanke an eine Wiedergutmachung muss bei dieser Frage ansetzen", ist Manfred May überzeugt. Dass das wohl nicht allein mit Geld geschehen kann, ist Manfred May seit dem Gespräch mit einer Betroffenen klar, die ihm sagte, sie wünsche sich, von der Gesellschaft einfach mal in den Arm genommen zu werden.

Von Matthias Holluba

Kontakt

Rat Suchende erreichen Manfred May telefonisch montags unter 0 36 71 / 35 82 18, sonst unter 0 36 81 / 73 46 91 oder mobil 01 60 / 95 38 06 55, per E-Mail: may@tlstu.thueringen.de oder may.m@caritas-bistum-erfurt.de

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