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Erfahrungen aus Freud und Leid

Das Alte Testament - Ein Gespräch mit Professor Norbert Clemens Baumgart

Erfurt. Seit dem Wintersemester 2008/09 ist Norbert Clemens Baumgart Professor für Bibelwissenschaft / Exegese und Theologie des Alten Testaments an der Katholisch- Theologischen Fakultät Erfurt. Jetzt hielt er seine offi zielle Antrittsvorlesung im Erfurter Coelicum zum Thema "Ein Gott, der verschnauft. Zu intertextuellen Zusammenhängen im Pentateuch".

Der neue Erfurter Professor für Exegese und Theologie des Altes Testaments, Norbert Clemens Baumgart

Herr Professor Baumgart, was bedeutet das Alte Testament für uns Menschen des 21. Jahrhunderts?

Das Alte Testament ist mit seinen 46 Büchern sehr vielschichtig. Es handelt vom Volk Israel und von einzelnen Menschen. Das Volk und einzelne Menschen erleben sich zwischen Freude und Leid, Hoffnung und Angst, zwischen Gelingen und Misslingen, Armut und Wohlstand. Sie erleben Ungerechtigkeit und Unterdrückung und erstreben Gerechtigkeit. All dies erleben sie mit Gott und bedenken es vor ihm. Das macht das Alte Testament so spannend. Und deshalb hat es auch uns Heutigen Entscheidendes zu sagen.

Manche Bücher und Abschnitte im Alten Testament wirken doch mindestens auf den ersten Blick sehr fremd. Gibt es Passagen, die dem modernen Menschen Gott besonders gut nahebringen?

Man kann das Alte Testament nicht über einen Leisten schlagen. Denn die Texte sind zu vielfältig und vielgestaltig. In ihnen spiegelt sich eine jahrhundertelange Entwicklung auch im Blick auf das Verständnis von Gott wider. Israel kommt in Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der es umgebenden Völker zu der Erkenntnis, dass es nur einen Gott gibt, welcher der Gott jedes Menschen und der ganzen Welt ist. Israel erfährt Gott als seinen Gott, der zugleich der Gott von allem ist.

An welchen Texten wird dies besonders gut deutlich?

Auf jeden Fall in den Psalmen mit ihrer Poetik. Die Psalmen loten das Leben in alle Richtungen aus. Das reicht vom Klagen und Anklagen über das Bitten und Danken bis zum Loben und Preisen. Es lohnt sich, das gesamte Buch der Psalmen zu lesen und sich mit ihm das Leben in all seinen Facetten anzuschauen. Man kann dies mit der Einheitsübersetzung tun, die derzeit verbessert wird. Oder auch in der Übersetzung von Martin Buber oder anderen. Neben den Psalmen fi nden wir aber auch im Buch Ijob Antwort, wer Gott ist und was es mit dem Leid auf sich hat. Und zwar nicht nur aus der Perspektive Ijobs, sondern auch aus Sicht seiner Freunde, mit denen er im Gespräch ist. Wer und wie Gott ist, bringen auch die Erzählungen etwa von Abraham, Sarah und Hagar, von Josef und seinen Brüdern, von Ruth oder von Jona gut nahe.

Gott wird im Alten Testament nicht nur als der freundliche, liebevolle Gott seines Volkes, sondern auch als rachsüchtig und kriegerisch beschrieben ...

Gott wird im Alten Testament auch als kriegerischer Gott geschildert, aber er löst auch Kriege auf. Man muss genau hinschauen: Gibt es in einer Gesellschaft ungerechte Verhältnisse, etwa, indem ein Volk von den Herrschenden brutal ausgebeutet wird, so bringt Gott es gleichsam aus dem "Sklavenhaus" heraus in die Freiheit. Führt Israel in den Schilderungen des Alten Testaments mit Gottes Unterstützung Kriege gegen Völker, so soll unter anderem deutlich werden: Das Land, das Israel erhalten hat, wurde ihm von Gott geschenkt. Wenn Israel in den Schriften des Alten Testaments von großen Siegen erzählt, so ist immer mitzudenken, was für ein kleines Volk Israel war, dem jeder Erfolg als großer Sieg erschien.

Da kann man zu dem Schluss kommen: Ohne bibelwissenschaftliche Vorkenntnisse ist es gar nicht so einfach, das Alte Testament zu lesen ...

Man muss sich ein bisschen Mühe machen und kann Hilfsmittel heranziehen. Zum Beispiel das Stuttgarter Alte Testament, in dem jedem biblischen Abschnitt Erläuterungen beigefügt sind. Oder in dem man die bewährten Zeitschriften des Katholischen Bibelwerkes Stuttgart liest. Es gibt viele Hilfsmittel, die es auch dem theologisch nicht so Bewanderten ermöglichen, mit angemessenem Verständnis heranzugehen. Dies gilt im Übrigen für vieles in unserem Glauben. Zudem bin ich der Meinung, dass in den Gottesdiensten immer noch zu wenig über Stellen aus dem Alten Testament gepredigt wird. Wir hier in Erfurt sind dafür zuständig, dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger das nötige Rüstzeug dafür erhalten.

Seit Jahrzehnten geht die Bibelwissenschaft unter anderem historisch-kritisch an die Texte heran. Andererseits gibt es heute Tendenzen, die Bibel ganz wörtlich zu nehmen, etwa im Blick auf die Schöpfungserzählungen - Schlagwort "Kreationismus". Was sagt der Alttestamentler dazu?

Im Alten Testament erschafft Gott den Kosmos, die Natur, die Tiere, den Menschen. Dabei haben die alttestamentlichen Autoren die Mythen der Völker der Alten Welt im Blick. Wie sie versuchen sie Antworten zu geben auf Fragen wie: Was hat es aus der Sicht Gottes mit dieser Welt auf sich? Was mit den Tieren und den Pfl anzen? Was ist mit dem Menschen? Was ist mit seiner Würde? Die Bibel stellt nicht naturwissenschaftliche Fragen im heutigen Sinne. Dies tun übrigens auch die anderen Völker der Alten Welt nicht. Es geht um grundsätzlichere Fragen. Die Schöpfungserzählungen sagen: Gott hat diese Welt und den Menschen gewollt, er ist ihr umsichtiger Schöpfer und Erhalter. Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, gab ihm so Würde, aber auch Verantwortung. In diesem Sinne sorgte er, um Bezug auf meine Antrittsvorlesung zu nehmen, auch selbst dafür, dass der Mensch am siebten Tag verschnauft, einen Ruhetag einlegt, und zwar nicht nur der freie Israelit, sondern auch der Sklave und sogar die Tiere.

Mythen der Völker der Alten Welt sind in die Bibel eingeflossen. Wir sprechen aber dennoch von der Heiligen Schrift ...

Die Bibel ist in Verknüpfung mit dem altorientalischen Kulturraum entstanden. Auf dem Hintergrund dieses Kulturraums haben die Israeliten Fragen des Lebens bedacht und ihre Erkenntnis in den Schilderungen und Gebeten des Alten Testaments festgehalten. Dabei gibt es Passagen, die dichter an den Mythen der altorientalischen Welt dran sind, wie etwa die Schöpfungs- und die Flut-Erzählungen, und solche, die mit den Ansichten anderer Völkern nicht so viel zu tun haben wie etwa die Geschichte der Könige. Israel hatte die gleichen Fragen wie die anderen Völker auch, hat sie aber aus dem Glauben an Jahwe heraus refl ektiert und beantwortet.

Gelegentlich kann man anstatt vom Alten und Neuen Testament auch vom Ersten und Zweiten Testament lesen. Wie stehen Sie zu diesen Bezeichnungen?

Ich verwende die Worte Altes und Neues Testament. Ich thematisiere mit den Studenten diese Frage. Denn unter "alt" kann man ehrwürdig, erprobt, erfahren verstehen, und in diesem Sinne spreche ich mit den Studierenden vom "Alten Testament". Man kann unter "alt" aber auch überholt verstehen. Das würde dem ersten Teil unserer Bibel nicht gerecht. Dann ist es schon besser, vom Ersten Testament zu sprechen.

Fragen: Eckhard Pohl



Zur Person: Norbert Baumgart


1959 in Bad Doberan geboren

1979 Abitur im Norbertuswerk Magdeburg

1979-1983 Philosophie- und Theologiestudium am Philosophisch- Theologischen Studium Erfurt

1984-1985 Studium der Praktischen Theologie in Neuzelle

1985 Priesterweihe

1985-1988 Kaplan in Neubrandenburg, ab 1988 Referententätigkeit zu biblischen Themen und ethischen Fragestellungen

1988-1994 Assistent an der Theologischen Fakultät Erfurt im Fach Exegese des Alten Testamentes, pastorale Aufgaben im Bistum Erfurt

1991 Lizentiat im Fach Exegese des Alten Testaments an der Pontifi cia Universitas Gregoriana in Rom

1994 Promotion im Fach Exegese des Alten Testaments an der Gregoriana in Rom

1994-1998 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster; zeitweise Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Habilitand im Fach Exegese des Alten Testaments an der Katholisch- Theologischen Fakultät sowie Studium der Akkadischen Sprache am Institut für altorientalische Philologie und vorderasiatische Altertumskunde

1998 Habilitation an der Katholisch- Theologischen Fakultät in Münster

1998 bis 2000 Lehrtätigkeiten in Erfurt und Münster, Gastprofessur in Paderborn

2000-2008 Dozentur für Katholische Theologie in Lüneburg

2002 Kooperation zwischen den Universitäten Lüneburg und Flensburg im Fach Katholische Religion / Lehrtätigkeiten in Flensburg

2004 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor der Universität Lüneburg

seit Herbst 2008 Professor für Exegese und Theologie des Alten Testamentes in Erfurt

wissenschaftliche (auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen) Arbeiten zum Beispiel über "Die Umkehr des Schöpfergottes (Gen 5-9)" und über die Sintfl uterzählungen

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