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Sonntagsmesse in Konkurrenz zu "Bingo"

Dominikanerpater Bernhard Venzke gibt Einblicke in seine Zeit als Kreuzfahrtpfarrer

Bevor der Dominikanerpater Bernhard Venzke Gemeindepfarrer in Leipzig-Wahren wurde, war er monatelang als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Sein Tagebuch aus dieser Zeit hat er unter dem Titel "Viel Meer als eine Kreuzfahrt" im St.-Benno- Verlag veröffentlicht.

Pater Bernhard Venzke OP vor einem der Kreuzfahrtschiffe, mit dem er als Bordseelsorger unterwegs war. Den Ordenshabit hat er später nur noch selten getragen, nachdem sich Reisende über seinen angeblich erschreckenden Aufzug beschwert hatten.Wie Sie in Ihrem Buch erwähnen, ergab sich das Engagement als Kreuzfahrtpfarrer aus Ihren damaligen Lebensumständen und entsprang weniger einer gezielten Lebensentscheidung. Wie sinnvoll erscheint Ihnen Ihr Einsatz im Nachhinein?

Dass ich als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen einiges bewirken kann, ist mir erst während der Reisen bewusst geworden. Reisende haben an Bord viel Zeit, ihr Leben zu betrachten und in Frage zu stellen. Noch wichtiger als für die Reisenden schien meine Anwesenheit für die Mannschaft. Wer 170 Tage von zu Hause weg ist und sich auf engstem Raum mit Kollegen aus unterschiedlichsten Kulturen zusammenraufen muss, steht vor vielfältigen Problemen. Ich bin auf viele Menschen getroffen, die jemanden brauchten, der ihnen zuhört, sie versteht und der nicht gleich den moralischen Zeigefinger zeigt. Obendrein konnte ich auch ein wenig zur Hebung der religiösen Allgemeinbildung beitragen. Von den 78 katechetischen Vorträgen, die ich auf See ausgearbeitet habe, profitiere ich noch heute.

Wodurch unterscheiden sich Ihre "Schiffsgemeinden" von den Gemeinden, mit denen Sie an Land zu tun hatten und noch haben?

Zunächst einmal hatte ich auf dem Schiff keine Gemeinde. Ich lebte nicht mehr in der gesicherten Existenz eines Pfarrers, sondern musste mir etwas einfallen lassen, um mir meine Stelle zu erobern. Ich hatte viel mit Menschen zu tun, die nur noch wenig oder allenfalls angestaubte Beziehungen zur Kirche hatten. Häufig habe ich gehört: "Beten Sie für mich. Sie haben einen besseren Draht zu Gott." Da habe ich gerne darauf hingewiesen, dass auch rostige Drähte leitfähig sind. Meine Gottesdienste und Gesprächsrunden standen in Konkurrenz zu Bingo und anderen Freizeitaktivitäten. Wobei: So ungewöhnlich ist diese Konkurrenzsituation vielleicht gar nicht mehr. Auch "normale" Pfarrer an Land finden sich in wachsendem Maße in dieser Realität.

Beklagen Sie das oder sehen Sie darin eher die Chancen?

Ich sehe, dass ich in dieser Situation viel gelernt habe. Die Konkurrenz hat meine Originalität und Authentizität gefördert. Dazu trug auch der Umstand bei, dass die Menschen mich fast rund um die Uhr erlebt haben. Wenn mein Leben nicht dem entsprach, was ich sagte, fiel das auf. Ehrlichkeit ist für mich sehr wichtig geworden, dazu gehört auch, offen zu meinen Ecken und Kanten und auch zu eigenen Zweifeln zu stehen. Ich wurde immer wieder daran erinnert, als Prediger nicht auf Fragen zu antworten, die die Menschen gar nicht gestellt haben, sondern mit dem Herzen bei ihnen zu sein. In gewisser Weise kam mir bei der Sammlung meiner "Bord-Gemeinde" mein Showtalent zugute. Aber das muss ja nicht verwerflich sein. Show bedeutet zeigen. Haben wir als Christen nicht etwas zu zeigen?

Dem Klischee zufolge tummeln sich auf Kreuzfahrtschiffen vorrangig die "oberen Zehntausend". Vermutlich haben Sie für Ihren Seelsorge-Einsatz auf See nicht nur Beifall geerntet!?

Stimmt. Das Klischee stimmt aber nicht ganz mit der Wirklichkeit überein. Es gibt viele Passagiere, die sich die Reisen lange und mühselig zusammengespart haben. Und dann war da ja - wie bereits erwähnt - die Mannschaft, für die ich auch da sein wollte. Natürlich gab es auch einen Anteil sehr gut Betuchter unter den Reisenden. "Reiche haben auch eine Seele", habe ich in Diskussionen oft gesagt und: Reiche sind nicht böse, nur weil sie reich sind, so wie Arme nicht allein durch ihre Armut gut sind. Ich plädiere dafür, den Menschen etwas differenzierter zu sehen. Geld, genauer gesagt der Umgang damit, war für mich an Bord durchaus immer wieder auch ein Thema. Wenn ich zum Beispiel beobachtet habe, welche Unfreundlichkeiten mit dem Satz "Dafür habe ich bezahlt" gerechtfertigt wurden, habe ich kein Blatt vor den Mund genommen. Eine Dame, die sich maßlos über die fehlenden schwarzen Oliven beim Frühstück aufregte, habe ich schon auch mal an die zahllosen Zeitgenossen erinnert, die überhaupt kein Frühstück haben.

Würden Sie anderen Seelsorgern einen Traumschiff-Einsatz empfehlen?

Ich persönlich habe diese Zeit als sehr bereichernd erlebt, bin jetzt aber auch sehr gerne Pfarrer in Leipzig. In gewisser Weise war es für mich auch eine Reise zu mir selbst, die mir eigene Grenzen bewusst gemacht hat. Wenn einen nur wenige Zentimeter Blech von der unendlichen Tiefe und Weite des Meeres trennen, wird einem mitunter schon klar, wie zerbrechlich das Leben sein kann und wie wertvoll das Zusammensein mit anderen Menschen ist. Wer so einen Job antritt, sollte sich aber auch im Klaren darüber sein, dass er sich in die Hierarchie auf dem Schiff einfügen muss und der Meinung des Kunden erbarmungslos ausgeliefert ist. Hilfreich ist es sicher, keine Berührungsängste zu haben, ein bisschen locker zu sein und bereit, auch einmal außergewöhnliche Dinge zu tun.

Fragen: Dorothee Wanzek

Hinweis

Bernhard Venzke OP: Viel Meer ... als eine Kreuzfahrt. Das Tagebuch eines Traumschiff-Seelsorgers; St.-Benno-Verlag Leipzig; 220 Seiten, ISBN 978-3-7462- 3050-4; Preis 9,95 Euro Am 9. Februar um 19 Uhr liest der Autor im Leipziger Dominikaner- Kloster, Georg-Schumann- Str. 336 aus seinem Buch.

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