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Qualität schwer haltbar

Soziale Dienste: Mit der Freiwilligkeit wird die Zahl der Zivildienstleistenden nicht erreicht werden

Erfurt. Durch den Wegfall der Zivildienstleistenden im Zuge der Aussetzung der Wehrpfl icht wird es zu massiven Engpässen bei den sozialen Diensten kommen. Ein Gespräch mit der Verantwortlichen für die Zivildienstleistenden bei der Caritas für das Bistum Erfurt, Rita Welther.

Wann werden Sie den letzten Zivi aus den Sozialeinrichtungen verabschieden?

Im Gesetzentwurf - der Ende März beschlossen werden soll - steht, dass bis Juni diesen Jahres Zivildienstleistende für sechs Monate den Dienst beginnen, beziehungsweise freiwillig bis zu sechs Monaten den Zivildienst verlängern können. Der letzte Zivi würde demnach zum 31. Dezember den Dienst beenden. Ab 1. Juli gibt es zudem den neuen Bundesfreiwilligendienst (BFD).

Welche Schwierigkeiten gibt es?

Die derzeitige Praxis des Bundesamtes für den Zivildienst bei der Einberufung von Zivildienstleistenden beziehungsweise der Umgang mit Anträgen zur freiwilligen Verlängerung sorgt bei den Dienstund bei den Verwaltungsstellen der Sozialverbände für Besorgnis und Unsicherheit. Kurz um: Es gibt derzeit weder für Einrichtungen noch für die jungen Männer eine gewisse Planungssicherheit. So geht das doch nicht!

Mit welchen Folgen rechnen Sie?

Neben der erneuten Verunsicherung rechnen wir in den sozialen Einrichtungen auch in Thüringen mit einem enormen Rückgang von männlichen Jugendlichen, die freiwillig in den Einrichtungen Dienst leisten werden. Das ist nach wie vor eine meiner größten Sorgen. Fakt ist, dass es sich um einen radikalen Umbruch handelt, der begleitet und gesteuert werden muss. Gerade die Übergangsphase bedarf der besonderen Unterstützung und Gestaltung, um einen möglichst reibungslosen Wechsel zu gewährleisten.

Derzeit laufen die Planungen für den neuen Bundesfreiwilligendienst auf Hochtouren. Was ist eigentlich geplant?

Wir halten engen Kontakt mit den Einrichtungen, um die Unsicherheiten vor Ort so gering wie möglich zu halten. Die Planungen sehen vor, dass die heutigen Ziviplätze auch als Plätze für den neuen Bundesfreiwilligensdienst automatisch anerkannt sind. Die Caritas hat 260 Plätze in Thüringen und deutschlandweit hofft man auf eine Belegungsquote von 30 Prozent. Diese Plätze können für ein Jahr von geeigneten Bewerbern besetzt werden. Den Bundesfreiwilligendienst können auch Personen, die älter als 27 Jahre sind, ableisten. Ebenso können Frauen den Dienst ausführen und auch Teilzeit ist bei über 27-Jährigen möglich.

Die Caritas in Thüringen hat viel Kraft in den Aufbau des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) gesteckt. Warum kann man nicht das vorhandene FSJ stärken?

Das FSJ wird in Zukunft durch den Bund fi nanziell besser gefördert. In der Kürze war es aber nicht möglich, die Finanzen aus den unterschiedlichen Ministerien in eines zu überführen. Ich halte das für eine viel zu "kurze" Übergangszeit. Ziel muss es sein, beide Angebote fi nanziell gleich zu halten, das heißt mindestens 300 Euro und bei Anspruchsberechtigten zuzüglich 184 Euro Kindergeld pro Stelle und Monat.

Stehen FSJ und BFD ab Sommer in Konkurrenz zueinander?

Ich sehe da keine Konkurrenzsituation. Das FSJ wurde ausgebaut und erweitert, da die Zivistellen nicht mehr ausreichend besetzt werden konnten. Zudem haben wir durch das Thüringenjahr im Freistaat beste Rahmenbedingungen für das FSJ. Im neuen Freiwilligendienst können jetzt auch junge Frauen und ältere Menschen bei entsprechender Eignung diese Stellen besetzen. Im FSJ liegt die Altersgrenze ja bei 27 Jahren. Wir sind als Caritas ab sofort Ansprechpartner für beide Angebote, Infos und Vermittlung erfolgt bei uns immer aus einer Hand.

Wie ist derzeit die Stimmung in den Sozialeinrichtungen. Wird es ab Sommer zu Engpässen in der Sozialarbeit kommen? Was plant die Caritas?

Ich will und kann den enormen Umbruch nicht schönreden. Fakt ist: Durch den Wegfall der Zivis wird es zu krassen Einschnitten im sozialen Bereich kommen. Die Caritas hat stets betont, dass es ohne angemessene Übergangsfristen nicht geht. Die jungen Männer im Zivildienst haben wir immer als zusätzliche Hilfskräfte gesehen, also ging es im Kern nicht um die Sicherstellung sozialer Leistungen, sondern um größtmögliche Qualität. Der Wegfall der Zivis bedeutet also Qualitätseinschränkungen sozialer Dienstleistungen. Das muss man ehrlicherweise auch den Betroffenen sagen. Es sind die Schwachen in unserer Gesellschaft: Alte, Kranke und Menschen mit Behinderungen. Man muss diese Frage aber auch aus dem Blickwickel der jungen Leute diskutieren.

Was meinen Sie damit?

Ganz einfach. Zivizeit war und ist soziale Lernzeit. Wo können denn junge Männer sonst noch soziale Kompetenzen erwerben? Es ist auch eine Zeit des Testens eigener Fähigkeiten, eigener Belastbarkeiten. Eingebaut in den Dienst sind Angebote zur Refl exion und Auseinandersetzung mit den großen Lebensthemen: Krankheit, Leid, Alter oder Behinderung. Diese Möglichkeit zur Auseinandersetzung ist für mich die entscheidende Frage in der ganzen Debatte. Für die Einrichtungen sind die jungen Leute zudem immer eine Bereicherung. Es geht letztendlich um das Miteinander der Generationen, das Einstehen füreinander und die Wertevermittlung in unserer Gesellschaft. Viele junge Männer sagten mir, dass diese Zeit für ihr Leben sehr wichtig war und sie entscheidend geprägt habe. Unsere Gesellschaft ist und bleibt doch auf das solidarische Miteinander angewiesen. Heute vielleicht mehr denn je. Fakt ist: Die Freiwilligenzahlen werden die Zivizahlen niemals erreichen! Und auch hier muss ich nochmals unterstreichen, dass wir mit der Freiwilligkeit die jungen Männer nicht erreichen werden. Möchte man einen Bruchteil von ihnen für die Freiwilligkeit ansprechen, muss man in die "Werbetrommel" mächtig investieren! Hier ist zudem Kreativität und Flexibilität gefragt. Außerdem gilt es, die Frage der gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung, zum Beispiel für den berufl ichen Werdegang junger Menschen, neu zu bedenken und zu gestalten.

Was empfehlen Sie den jungen Leuten in diesen Tagen?

Auch bei ihnen ist die Verunsicherung groß. Ich möchte den Gesichtspunkt des sozialen Lerndienstes hervorheben, das heißt sie sollen neugierig bleiben und sich für das Soziale in unserer Gesellschaft interessieren. Die Caritas sucht gemeinsam mit ihnen nach passenden Angeboten.

Was fordert die Caritas von den politischen Verantwortungsträgern?

Verunsicherung lähmt und blockiert. Gerade beim Thema "Sozialer Dienst", ob nun verpfl ichtend oder freiwillig, darf es nicht ums Sparen gehen. Es geht um die jungen Menschen in unserem Land, deren Perspektiven und Zukunft im Freistaat Thüringen. Es geht um eine angemessene Planungssicherheit und ausreichende Übergangsfristen und Hilfestellungen für soziale Einrichtungen, um die Betreuung und Begleitung der Schwachen zu organisieren. Es geht um erprobte und ausbaubare Alternativen, die das solidarische Miteinander in unserer Gesellschaft ermöglichen. Wir wollen als Caritas mit dafür sorgen, dass junge Menschen - gerade in den neuen Ländern - weiterhin soziale Lernfelder vorfi nden. Dazu brauchen wir geeignete politische Rahmenbedingungen. Die derzeitige Verunsicherung allerorten ist für eine konstruktive Aus- und Aufbauarbeit nicht hilfreich.

Fragen: Thomas Müller

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