Ein langer Weg der Einsicht
Behinderte Menschen haben ein Recht auf Teilhabe - ein Caritas-Fachtag in Neuzelle
Neuzelle. Die UN-Behindertenkonvention von 2006 garantiert Menschen mit Behinderungen gesellschaftliche Teilhabe von Anfang an. Auch Deutschland hat das Papier ratifiziert - mit der Umsetzung hapert es.
Für die Akteure in der Behindertenhilfe ist nichts normal. Denn Normalität bedeutet, dass Behinderte die gleichen Möglichkeiten der Entfaltung haben wie andere Menschen auch. Die Fachleute drücken dies mit dem weniger geschmeidigen Namen "Inklusion" aus - heißt, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Zugänge zu Bildung, Ausbildung, beruflicher und persönlicher Entwicklung haben. Wie weit Brandenburg gerade im Bildungsbereich davon entfernt ist, zeigte ein Fachtag, zu dem der Görlitzer Diözesancaritasverband am 25. Januar ins ehrwürdige Ambiente des Klosters Neuzelle eingeladen hatte. Etwa 100 Teilnehmer waren gekommen.
Die gesellschaftliche Teilhabe von Behinderten ist Menschenrecht, stellt Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter des Landes Brandenburg, fest. Universales Recht also, das aber nicht selbstverständlich ist. "Behinderte erwarten vom Leben, dass sie in ihrer Andersartigkeit akzeptiert werden, dass sie ihr Leben selbst gestalten können", erklärt Jürgen Dusel. "Sie wollen nicht das Objekt staatlicher Fürsorge sein, sondern eigenverantwortlich handeln - nicht mehr sagt der Ansatz der Inklusion aus." Auch das diesjährige Jahresthema der Caritas "Kein Mensch ist perfekt - Behinderte Menschen. Menschen wie du und ich" weist auf diesen Aspekt besonders hin.
Der Behindertenbeauftragte regt unter anderem die Förderung von inklusiven Schulen an, wo behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam lernen, ohne aber die bisherigen Ansätze zu verteufeln. Die Sonderschulpädagogik habe in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass es heute eine größere Chancengerechtigkeit für Behinderte gebe. "In Zukunft reicht das aber nicht mehr aus." Zudem dürfe Behindertenpolitik nicht mehr nur Sozialpolitik sein, sondern müsse als "Querschnittsthema" verstanden werden. "Inklusion betrifft die Tourismusbranche genauso wie die Bau- und Wohnungspolitik", sagte Dusel.
Für Dörte Fiedler von der St. Florian-Stiftung Neuzelle bedeutet der Gedanke der Inklusion "die Vielfalt als Normalität anzuerkennen". Inklusion nehme die "Individualität jedes Kindes ernst." Die Unterschiedlichkeit sei kein "Problem, das gelöst werden muss, sondern Normalität". Ziel sei eine gesellschaftliche Kultur, in der "der behinderte Mensch sich nicht mehr als behindert vorkommt".
Die St. Florian-Stiftung will noch in diesem Jahr damit ernst machen und in der Trägerschaft der Caritas eine eigene inklusive Schule gründen. Vor allem gehe es darum, die Andersartigkeit der Kinder ernst zu nehmen. Jeder Schüler soll nach seinen Möglichkeiten individuell gefördert werden. Die staatlichen Stellen tun sich jedoch mit der Genehmigung des Projektes schwer. "Wir befinden uns noch immer im Antragsverfahren", so Dörte Fiedler. "Die Grenzen unserer Möglichkeiten", so ist die Pädagogin überzeugt, "setzen wir uns selbst."
Wohl auch ein Grund, warum kaum ein Bildungspolitiker der Einladung zum Fachtag nach Neuzelle gefolgt ist. Der Prozess der Inklusionsschule sei ins Stocken geraten, gibt immerhin die Vizepräsidentin des brandenburgischen Landtages, Gerrit Große, zu. Im Vergleich zu anderen Bundesländern sei man schon weit zurück. "Aber wir wollen die Schule für alle."
"Alle Kinder dieser Erde sind sich ähnlich überall", singen die Mädchen und Jungen der Förderschule der St. Florian-Stiftung in Neuzelle. Bis es in Brandenburg so weit ist, gibt es noch viel zu tun.
Homepage zum Caritas-Jahresthema: www.kein-mensch-ist-perfekt.de
Von Andreas Schuppert