Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Die Wunden heilen noch nicht

Vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit im Kloster Ettal

Ettal/Wechselburg. Von Erfolgen bei der Vergangenheits- Bewältigung kann knapp ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Missbrauchs- und Misshandlungsfälle im Kloster Ettal noch keine Rede sein. Opfer und Täter befinden sich am Anfang eines schmerzlichen Weges. Auswirkungen sind auch in Wechselburg spürbar.

"Wir wünschen uns klarere Schuldeingeständnisse", sagt Robert Köhler, Sprecher des Ettaler Opfervereins. Viele der rund 80 Opfer seien durch die leidvollen Erfahrungen als Ettaler Internatsschüler schwer traumatisiert und in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. In manchen Jahrgängen gehörten mehr als 25 Prozent der Schüler zu den Opfern. "Wenn seitens des Klosters immer wieder suggeriert wird, es handle sich um Einzelfälle und die Taten lägen im Rahmen früher allgemein üblicher Erziehungsmethoden, belastet uns das massiv", kritisiert Robert Köhler, der in den 70er und 80er Jahren Internatsschüler war.

"Ich möchte zu dem stehen, was ich falsch gemacht habe", sagt Pater G., dem mehrere Alt-Ettaler vorwerfen, in seiner Zeit als Internatserzieher und -direktor in den 60er und 70er Jahren Gewalt angewendet und die Intimsphäre von Schülern verletzt zu haben. Pater G., der sich seit 1993 am Aufbau der Ettaler Niederlassung in Wechselburg beteiligt, war nach Bekanntwerden der Vorwürfe von seinen seelsorglichen Aufgaben entpflichtet worden, ebenso wie Pater R., der die Wechselburger Neugründung bereits von 1990 an begleitet hatte, und einem weiteren Pater (der Tag des Herrn berichtete). Im Fall von Pater R. hatten sich mehrere Ex-Schüler mit Gewalt- und Missbrauchsvorwürfen für den Zeitraum der 70er und 80er Jahre gemeldet.

Vorwürfe sexuellen Missbrauchs und pädophil oder homosexuell motivierter Grenzüberschreitungen hatten beide Patres von Anfang an zurückgewiesen. Entsprechende Anschuldigungen erklärt sich Pater R. damit, dass die Mönche sich in gewissem Sinne als Eltern-Ersatz verstanden hätten. Viele Eltern, die ihre Kinder dem Internat anvertrauten, hätten diese Rollen-Übernahme ausdrücklich gewünscht. Die daraus erwachsene Nähe zwischen Schülern und Erziehern habe zu einem erhöhten Risiko missverständlicher Situationen geführt. Fragwürdig finden es die beiden Wechselburger Patres, ihr damaliges erzieherisches Handeln nach heutigen Maßstäben professioneller Pädagogik zu beurteilen. Ein Bescheid, den das Kloster Ettal kurz vor Weihnachten von der vatikanischen Glaubenskongregation erhielt, spricht Pater G. und Pater R. vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei. Aus Sicht des Klosters könnten beide nun wieder in der Seelsorge wirken, schrieb Abt Barnabas Bögle daraufhin an die Wechselburger Pfarrgemeinde Heilig Kreuz.

Beim Verein der Ettaler Opfer stieß der Vorgang auf Kritik. Robert Köhler vermutet, dass der Glaubenskongregation nur etwa zwei Drittel der Opferberichte vorlagen und dass wesentliche belastende Dokumente fehlten. Die Berichte seien bei verschiedenen Adressaten eingegangen. Obwohl sich der Verein dafür eingesetzt habe, seien bis heute nicht alle Opferberichte zusammengeführt worden, bemängelt der Vereinssprecher. Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass die Patres den Brief aus Rom nun benützten, um sich von allen Vorwürfen reinzuwaschen.

"Es geht mir überhaupt nicht darum, mich reinzuwaschen", weist Pater G. zurück. Ihm sei bewusst, dass Gewalt genauso schlimm sein kann wie sexueller Missbrauch. In Gesprächen mit dem Abt und mit den Mediatoren, die zur Vermittlung zwischen Opfern und Tätern eingeschaltet worden seien, habe er mehrfach seine Bereitschaft erklärt, persönlich mit den Opfern zusammenzutreffen und sich bei ihnen zu entschuldigen. Ebenso wie Pater R. habe er dazu bisher keine Gelegenheit erhalten - eine Situation, die beide als quälend erleben. Pater G. belastet es zusätzlich, dass er sich an die meisten Vergehen, die ihm vorgeworfen werden, nicht erinnern kann und deshalb auch nicht weiß, welche ehemaligen Schüler sich hinter den Vorwürfen verbergen, die ihm mitgeteilt wurden. Seine eigene Erinnerung beschränkt sich auch nach einem Jahr intensiven Nachsinnens auf einen einzigen Ex- Schüler. Bereits lange bevor sich die ersten Ettaler Opfer meldeten, habe er vergeblich nach ihm gesucht, um sich zu entschuldigen.

Das Zusammentreffen mit dem Täter berge für traumatisierte Opfer immer auch die Gefahr neuer Verletzungen, erläutert einer der Psychologen, die im Kontakt mit Ettaler Geschädigten sind. Eine persönliche Begegnung bedeutet für das Opfer, den Täter erneut in sein Leben einzulassen und dabei nicht nur mit seiner Reue konfrontiert zu werden, sondern möglicherweise auch mit dem Bedürfnis nach Bestätigung für gute Absichten als Erzieher und Seelsorger und eine positive Gesamtsicht auf das Ettaler Internatsleben. Viele Opfer sind derzeit noch unentschlossen, ob sie dies wollten. Sie suchen den Schutz der Opfergruppe und warten weitere Signale aus dem Kloster ab: Wird künftig die Sorge um die Opfer Priorität haben oder die Sorge um die Täter? Wie werden die Misshandlungsfälle behandelt, für die der Vatikan ja nicht zuständig ist? Für manche Opfer hat es aus Psychologensicht Vorrang, Erlebtes in Einzelgesprächen mit Außenstehenden auszusprechen und in die Zukunft zu schauen. "Ganz am Anfang gab es ein gutes Gespräch mit der Klosterleitung. Seither erreicht uns das Kloster emotional nicht mehr", sagt Robert Köhler. Er sei an Deeskalation interessiert, betont er, fügt aber im gleichen Atemzug hinzu: "Christliche Vergebung setzt tätige Reue voraus."

Der Dialog zwischen Tätern und Opfern ist in Ettal ins Stocken geraten. Unterdessen haben die Benediktiner begonnen, das Geschehene im Konvent offen zur Sprache zu bringen. "Die ganze Gemeinschaft muss diese Schuld tragen. Das ist nicht einfach", weiß Pater G., "gerade für die Mitbrüder, die erst in jüngerer Zeit zu uns gekommen sind." Er und Pater R. sind erleichtert darüber, in Wechselburg seit Dezember wieder die heilige Messe zelebrieren zu dürfen. Am Bischof liegt es nun zu entscheiden, wie beide künftig in der Pfarrseelsorge eingesetzt werden. Die beiden fänden es sinnvoll, mit dieser Entscheidung zu warten, bis der Heilungsprozess vorangegangen ist.

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps