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Wie viel Wahrheit verträgt der Bürger?

Politikwissenschaftler Patzelt erklärt, warum Politiker nicht immer die Wahrheit sagen können

Schmochtitz (mh). "Wahrheit - Glaube - Toleranz" war das Thema der Winterakademie der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und des Bischof-Benno-Hauses in Schmochtitz. Dabei ging es auch um den Umgang mit der Wahrheit in der Politik.

Eigentlich hätte sich der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt die Antwort einfach machen können. "Wie viel Wahrheit verträgt die Demokratie?" hieß sein Vortragsthema. Und seine spontane Antwort lautete: "Erstens: Das Volk will belogen sein. Zweitens: Politiker lügen wie gedruckt." Was könne schöner sein, wenn da nicht - drittens - die alte Volksweisheit wäre: "Lügen haben kurze Beine." Ganz so einfach sei die Antwort also nicht. Der Kern des Problems liegt für Patzelt in der Frage: "Wie viel Wahrheit verträgt der Bürger?" In einer Demokratie könnten die Regierenden nicht allzulange und nicht allzuweit von dem abweichen, was die Regierten zu akzeptieren bereit sind. "Von den Bürgern also hängt ab, wie sich die politische Klasse bewegen kann", unterstreicht Patzelt.

Diese Erfahrung macht Michael Kretschmer durchaus in seiner täglichen Arbeit. Politiker können nur das tun, was die Bevölkerung zulässt, sagt der 35-Jährige, der Generalsekretär der sächsischen CDU ist und für seine Partei im Bundestag sitzt. Strikt wehrt er sich aber dagegen, Politiker vorschnell der Lüge zu bezichtigen: "Da reagiere ich sehr sensibel." Lüge ist für ihn eine böswillige, beabsichtigte Falschaussage. "Das ist aber etwas anderes, als eine gelegentliche Notlüge oder die Wahrheit nicht ganz auszusprechen."

Auch Politikwissenschaftler Patzelt plädiert für eine klare Trennung der Begriffe Wahrheit, Lüge, unwahre Aussage, Wahrhaftigkeit und Notlüge. Für die Politik spricht er von einem "taktischen Umgang mit der Wahrheit", den er gelegentlich aus ethischen Gründen sogar für geboten hält.

"Wie derjenige, der mit einem Computer arbeitet, sich auf dessen Betriebssystem einlassen muss, muss sich derjenige, der Politik betreibt, auf deren Logik einlassen", sagt Patzelt. In dieser Logik der Politik sieht er Gründe für diesen Umgang mit der Wahrheit. Unwahre Aussagen kämen unter anderem deshalb zustande, weil Politiker sich oft zu Dingen äußern müssten, die sie selbst nicht verstünden, oder bei denen es um eine ungewisse Zukunft gehe. Außerdem sei Politik harte Konkurrenz. "Diejenigen, die zuerst mit der ganzen Wahrheit herausrücken, machen sich beim Wahlvolk unbeliebt."

Was also tun, fragt Patzelt. Die Politiker als Lügner beschimpfen und sich angeekelt von der Politik abwenden? Wer außer den Politikern aber könne dann einen Beitrag zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme leisten? Für Patzelt ist es deshalb sinnvoller, die schwierigen Bedingungen, unter denen heute Politik gemacht werden müsse, zu durchschauen. "Politik ist ein Spiel mit dosiert verabreichten Wahrheiten." Jeder Einzelne könne trotzdem dazu beitragen, die Ursachen für diesen Umgang mit der Wahrheit in der Politik zu beseitigen.

Michael Kretschmer betont, dass auch Politiker einen Beitrag leisten müssen: "Natürlich nutzt es nichts, den Leuten die Wahrheit um die Ohren zu hauen, wenn wir keine Lösungen haben. Aber wenn wir nur das aufnehmen, was die Leute denken, kommen wir nicht vorwärts." Deshalb sei eine Aufgabe der Parteien die politische Willensbildung. Damit könne langfristig die Haltung der Bevölkerung zu bestimmten Themen verändert werden. Als Beispiel für solche Willensbildung durch die sächsische CDU nennt Kretschmer den Umgang mit dem Thema Staatsverschuldung.

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