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Visionen und Emotionen

In Erfurt wurde eine neue Debatte über ein Petrusamt für alle Kirchen eröffnet

Erfurt. Unter welchen Voraussetzungen könnte das Petrusamt künftig für die Gemeinschaft der Kirchen dienlich sein? Dieser Frage widmete sich eine lutherischkatholische Arbeitsgruppe fünf Jahre lang. Die Ergebnisse stellten die Theologen und Kirchenrechtler am 10. Februar in Erfurt zur Diskussion.

Vor gut 15 Jahren hatte Papst Johannes Paul II. um Vergebung gebeten für den eigenen Anteil an der Spaltung der Kirche. Er hatte Kirchenführer und Theologen aufgefordert, mit ihm über den Einheitsdienst des Bischofs von Rom in Dialog zu treten. "Wir wollten unsere Antwort nicht im lutherischen Selbstgespräch geben, sondern im Dialog", erläuterte der Straßburger Theologe Theodor Dieter, der die Arbeitsergebnisse in der Erfurter Universität gemeinsam mit seinem katholischen Theologen Hermann Josef Pottmeyer vorstellte. Die nach ihrem italienischen Tagungsort Farfa Sabina benannte Arbeitsgruppe war deshalb paritätisch mit sieben evangelisch-lutherischen und sieben katholischen Theologen und Kirchenrechtlern besetzt.

Luthertexte und katholische Dogmen neu gelesen Nach intensiver Lektüre der Schriften Luthers und der Dokumente des Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzils sind die Wissenschaftler zu dem Schluss gekommen, dass die Dogmen des Ersten Vatikanischen Konzils über den Jurisdiktions- oder Leitungsprimat und das unfehlbare Lehramt des Papstes nicht länger als Haupthindernis für die ökumenische Verständigung über ein Einheitsamt im Dienst der Gemeinschaft aller Kirchen dienen muss. Auch Luther habe das Papstamt - gerade in seinen frühen Schriften - nicht von seinem Wesen her abgelehnt, sondern mit seiner Kritik auf die Art der Amtsausführung der zeitgenössischen Päpste gezielt. Das größe Hindernis auf dem Weg zu einem universalen Petrusamt sieht die Gruppe in den hohen emotionalen Barrieren, die auf beiden Seiten gewachsen seien.

Der evangelisch-lutherische Landesbischof von Braunschweig, Friedrich Weber, und der katholische Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, waren eingeladen, zu dem Dokument "Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt" Stellung zu beziehen. Beide begrüßten das Dokument als wichtigen Impuls im ökumenischen Dialog. In der Kirche wachse das Bewusstsein, dass ein universales Leitungsamt nicht im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehe, machte Bischof Wanke deutlich. "Im anhebenden Gespräch der Weltreligionen brauchen wir eine solche konsensgestützte Stimme", betonte er. Er hoffe sehr auf einen universalen Petrusdienst, der angesichts der neuen Situation der Kirche im 21. Jahrhundert den Glauben aller Christen stärke. Eine wesentliche Frage, die auf dem Weg dorthin aus seiner Sicht noch zu klären ist, sei das Einheitsverständnis. In der katholischen Kirche gebe es Schwierigkeiten mit dem Begriff der "versöhnten Verschiedenheit". Man tendiere hier eher zum kirchlichen Gemeinschaftsverständnis des ersten Jahrtausends. "Wir sollten uns nicht mit dem Plural von Kirche zufrieden geben", sagte Joachim Wanke. Er empfinde es als schmerzlich, dass jeden Monat neue reformatorische Kirchen entstehen. Konfessionalität bedeute Verengung und Verarmung.

Später sei auch die Frage zu klären, welche Gestalt ein Einheitsdienst haben soll. Er plädierte dafür, diese Aufgabe einer einzelnen Person anzuvertrauen: "Kommissionen und Gremien kann man nicht die Hände auflegen."

Lernprozesse sind auf beiden Seiten nötig

Aus der Würdigung des Braunschweiger Landesbischofs Friedrich Weber für das Dokument klang zugleich Skepsis im Blick auf die zu erwartende Rezeption. Er erinnerte an das Dialogpapier Communio Sanctorum, das die Deutsche Bischofskonferenz und die Vereinigte Evangelisch- Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) im Jahr 2000 vorgelegt hatten. Auch darin waren Überlegungen zu einem einheitsdienlichen Petrusamt enthalten.

Insbesondere in der evangelisch- lutherischen Kirche sei dieses Papier jedoch auf heftige Widerstände gestoßen. Die massiven Reaktionen seien zum einen historisch zu erklären. Schließlich sei der Papst für Protestanten jahrhundertelang die "Chiffre aller Positionen gewesen, die man ablehnen muss". Zum anderen rührte die Abwehr aber auch aus jüngeren vatikanischen Dokumenten, die den lutherischen Kirchen die Rückkehr in die römisch-katholische Kirche nahelegten. "Macht eine bestimmte Form und Gestaltung von Ämtern es wirklich nötig, anderen das Kirchesein abzusprechen?”, fragte der braunschweigische Bischof.

Die Gruppe von Farfa Sabina weist in ihrem Dokument darauf hin, dass sich die christliche Kirche ursprünglich als eine Gemeinschaft von Kirchen vor Ort verstanden hat. Auch das Zweite Vatikanische Konzil habe dieses Kirchenverständnis, nach dem der Anerkennung der lutherischen Kirchen nichts im Wege stehe, vertreten. In der Folge sei jedoch der Zentralismus in der katholischen Kirche noch verstärkt worden. Auch im Kirchenrecht haben sich die Beschlüsse des jüngsten Konzils in dieser und anderen Fragen bisher zu wenig niedergeschlagen.

Dass die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils im neuen Kirchenrecht zu wenig berücksichtigt werden, räumte auch Bischof Wanke ein. "Es schleicht sich einiges ein, was nicht dem Geist des Vaticanum II entspricht." Dies sei jedoch ein Thema, das zunächst innerkatholisch mit dem Papst angesprochen werden müsse. Der Erfurter Bischof hob positiv hervor, dass die Gruppe von Farfa Sabina die das Papstamt betreffenden Dokumente des Ersten Vatikanischen Konzils im historischen Kontext und im Licht des Zweiten gelesen habe.

Dass auch auf lutherischer Seite ein Lernprozess von Nöten ist, hob der lutherische Professor Theodor Dieter, der Leiter des Straßburger Instituts für Ökumenische Forschung, hervor. Die evangelischen Christen müssten aufhören, den Katholiken wegen der Unfehlbarkeitsdogmen vorzuwerfen, dass die Schrift bei ihnen nicht an der ersten Stelle stehe. Stattdessen sollten sie sich eingestehen, dass die Katholiken trotz theologisch unbefriedigender Praxis bei der Schriftauslegung oft richtig gelegen haben und dass der Papst Zeuge Jesu Christi ist. Angemessen wäre das selbstkritische Eingeständnis, dass auch evangelische Christen oft dem Evangelium nicht treu seien. Bei der Interpretation der papstfeindlichen Äußerungen Martin Luthers sollte bedacht werden, dass auch er "nicht immer auf seinem Niveau" gewesen sei. Für ausbaufähig hält Professor Dieter in den evangelisch-lutherischen Kirchen auch das Bewusstsein, Teil einer Gemeinschaft von Kirchen zu sein. Beispielsweise sei es nötig, bei Beschlüssen die Auswirkungen auf andere Kirchen mit zu bedenken.

Bereits bei der Vorbereitung von wichtigen Beschlüssen sollten beide Seiten die jeweils andere anhören. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil sei dies bereits so praktiziert worden. Verletzende und missverständliche Formulierungen ließen sich auf diese Weise vermeiden. In der Gruppe von Farfa Sabina habe die enge ökumenische Zusammenarbeit geholfen, Vorurteile und Missverständnisse auszuräumen, schätzt Theodor Dieter ein.

Tieferes Interesse an Christen anderer Kirchen

Bischof Weber sprach sich dafür aus, auf dem Weg einer "empathischen Ökumene" weiter zu gehen. Als Beispiel dafür nannte er die Arbeit eines im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum gegründeten ökumenischen "Kontaktgesprächskreises 2017". Katholische und evangelische Theologen arbeiteten dort derzeit an einer gemeinsamen Kommentierung von Luthers 95 Thesen. Dabei ließen sich die Teilnehmer beider Konfessionen von der Frage leiten, was die anderen bewegt. Man versuche, das Verstandene mit eigenen Worten zu formulieren. "Wir müssen uns tiefer und besser kennenlernen", forderte Friedrich Weber. Im Moment sei es im ökumenischen Gespräch wie in manchen Ehen: "Man hat sich aneinander gewöhnt und der Austausch findet auf sehr banaler Ebene statt."

"Nektar ziehen" für den ökumenischen Dialog

Die Impulse der Gruppe von Farfa Sabina sollten im weiteren ökumenischen Dialog unbedingt aufgegriffen werden. "Wir werden versuchen, daraus Nektar zu ziehen", versprach der Catholica- Beauftragte der VELKD. Auch er sieht den Beitrag der Gruppe als Eröffnung einer Debatte, in der noch viele Fragen zu klären sind. Beispielsweise begrüße er die Forderung der Gruppe nach einem ökumenischen Konzil. Offen sei aber, wer ein solches Konzil einberufe, wer teilnimmt und welche Verbindlichkeit seine Beschlüsse haben.

Von Dorothee Wanzek


Zitat

Nach meiner Einschätzung brauchen unsere Kirchen viele Menschen mit einem Sinn für mögliche Wirklichkeiten, Menschen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe also. Die Mitglieder der Gruppe von Farfa Sabina sind für mich Menschen, die sich genau diesen Sinn bewahrt haben, nicht realitätsfern, aber mutig. Ihre Ideen sind mehr als noch nicht "geborene Wirklichkeiten", weil sie an dem anknüpfen, was bereits ist, aber noch nicht oder nicht mehr mit seinen Möglichkeiten gesehen wird. Das Engagement dieser Gruppe ist nicht hoch genug zu würdigen.

Friedrich Weber, Braunschweiger Landesbischof und Catholica- Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands

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