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"Wie hätte ich reagiert?"

Ein ehemaliger Kraftfahrer lässt sich von Alojs Andritzkis Lebensgeschichte anrühren

Radibor. Seit rund anderthalb Jahren beschäftigt sich Steffen Nebelung in einem Ein-Euro- Job beim katholischen Pfarramt Radibor mit Alojs Andritzki. Obwohl er selbst kein Christ ist, beeindruckt ihn das Leben des künftigen Seligen in in wachsendem Maße.

Steffen Nebelung stellt im Pfarrhaus Radibor Informationsmaterial über Alojs Andritzki zusammen

"Wie können Christen nur all das glauben?", hatte sich der aus Limbach-Oberfrohna stammende Kraftfahrer Steffen Nebelung früher immer gefragt. Ihm selbst schien es unmöglich, etwas zu glauben, das man ihm zuvor nicht bewiesen hatte. Den Namen Alojs Andritzki hatte er nie gehört, bevor ihm das Arbeitsamt zufällig den Job in dessen Heimatpfarrei vermittelte.

Seit anderthalb Jahren unterstützt er die Radiborer Pfarrei Maria Rosenkranzkönigin bei den Vorbereitungen für Andritzkis Seligsprechung. Gemeinsam mit einer Kollegin durchforstete er das Staatsarchiv Bautzen nach Akten, die Andritzkis Bespitzelung durch die Gestapo dokumentieren. Er begleitete eine Gemeindereise zu den Wirkungsstätten des sorbischen Priesters und stellte Materialien für eine Ausstellung und einen thematischen Dorfrundgang zusammen.

Die eine oder andere seiner Einstellungen ist in den vergangenen Monaten ins Wanken geraten. "Ich habe jede Menge dazugelernt", erzählt Steffen Nebelung. Unter anderem ist ihm aufgegangen, dass katholische Priester nicht so weltabgewandt sind, wie er zuvor immer dachte. An Alojs Andritzki beeindruckt ihn besonders, dass er trotz seiner Jugend den Nationalsozialismus bereits sehr früh durchschaute. Dem Archivmaterial, das er sichtete, hat er entnommen, dass diese Einstellung für Andritzkis sorbische Zeitgenossen keinesfalls selbstverständlich war. So habe es von sorbischer Seite auch Anfragen gegeben, ob man das Hakenkreuz mit in die sorbische Flagge einnähen lassen dürfe.

"Wenn Alojs Andritzki seine vielseitigen Begabungen in den Dienst des Staates gestellt hätte, wäre ihm eine große Karriere und ein besseres Leben sicher gewesen", überlegt Steffen Nebelung. Angesichts der Standhaftigkeit des jungen Priesters bis in den Tod hinein habe er sich selbst häufi g gefragt "Wie hätte ich reagiert?", gibt der Gemeinde-Mitarbeiter zu.

Nachdenklich macht ihn auch die Lebensgeschichte des Dachauer Mithäftlings, der Alojs Andritzki die Todesspritze versetzte: "Ein linker Sozialdemokrat aus Österreich, ehemaliger Spanienkämpfer, Gefangener wie Andritzki, der aber offenbar für sich selbst das Beste herausholen wollte." Der sorbische Priester sei der Versuchung zur Macht nicht erleben. Ihm sei Nächstenliebe wichtiger gewesen als das eigene Leben, obwohl er so jung war und "das ganze Leben noch vor sich hatte". Laut DDR-Geschichtsschreibung gab es doch fast nur Kommunisten in den Konzentrationslagern, und die waren immer nichts als Opfer, ruft Steffen Nebelung ins Gedächtnis.

Er war in der DDR ein Jahr lang politischer Häftling gewesen. Die Erinnerung an den eigenen Umgang mit der Briefzensur ließ ihn in den Briefen Alojs Andritzki aus dem Gefängnis in Dresden gezielt nach Informationen suchen, die zwischen den Zeilen standen. Tatsächlich entdeckte er Mitteilungen über Mithäftlinge und Arbeitszeiten im KZ, die anderen Lesern zuvor gar nicht aufgefallen waren.

Von Dorothee Wanzek

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