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Erwachsene schreien anders

In Cottbus und Görlitz bietet die Caritas Ehe-, Familien- und Lebensberatung an

Cottbus/Görlitz. Die Probleme sind vielfältig, mit denen Ratsuchende die Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Caritas in Cottbus und Görlitz aufsuchen.

"Wir haben uns nur noch angeschrien, es ging nicht mehr. Unsere Ehe empfand ich inzwischen als einen einzigen Scherbenhaufen. Die Kinder haben am meisten unter den ständigen Streitereien gelitten. Viele Male hatte mich meine Frau gebeten, zu einer Beratung mit zukommen", so oder ähnlich geht es vielen Ratsuchenden, die zu Veronika Lattig kamen. Als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin bei der Caritas weiß sie auch, wie diese Geschichten weitergehen. Frauen kommen oft zunächst allein zur Sprechstunde. Die Männer sehen Beratung mitunter als nicht notwendig an und lehnen sie vielfach erst einmal ab. Probleme, die in die Beratungsstelle führen, sind vielfältig: keine Zeit für den Partner, Eingespanntsein in die Arbeit bis hin zum Workoholik, Pendeln, räumliche Entfernung oder das Fremdgehen eines Partners.

Sie gaben ihrer Ehe keine Chance mehr

"Manche Paare geben ihrer Ehe keine Chance mehr, haben sie längst abgeschrieben. In anderen Fällen bleibt es bei der Ablehnung, sich professionelle Hilfe zu holen", berichtet Veronika Lattig, die von 1982 bis Ende März für diesen Bereich zuständig war. Nun ist sie im Vorruhestand. "In meiner Arbeit stand die Psyche des Menschen im Vordergrund. Es geht um die Bedürfnisse der Erwachsenen, die sie artikulieren, wenn sie Probleme mit sich oder anderen haben. Babys machen sich dann lautstark bemerkbar. Erwachsene schreien anders. Hinter einem Problem steckt meist ein unerfülltes Bedürfnis."

Im Bistum gibt es neben der Beratungsstelle in Cottbus eine zweite in Görlitz. Hier berät Barbara Hupe seit 1993 Hilfesuchende. Im Jahr 2009 haben sich bei der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Görlitz 258 Frauen und 187 Männer beraten lassen. Bundesweit gibt es 350 solcher katholischer Beratungsstellen. Wie wichtig diese Arbeit ist, zeigt die Stastitik: In Deutschland geht etwa jede dritte Ehe kaputt. Die meisten Beratungen finden im Bereich der Ehe- und Paarberatung statt. Das Spektrum, welches von den Beraterinnen abgedeckt wird, ist jedoch viel größer. Familienund Lebensberatung ist ein weites Feld, das heißt Beratung in allen Lebenslagen. Das Spektrum reicht dabei vom Umgang mit Krankheiten, Unfällen, Tod von nahen Verwandten oder Freunden bis zu Fragen der Trauerbewältigung: Wie gehe ich angemessen mit dem Schmerz über einen Verlust um?

Hauptprobleme sind fast überall Kommunikationsstörungen. "Viele Menschen können ihre Emotionen nicht artikulieren. Die Frage ,wer hat recht‘, ist eine Machtfrage und häufig anzutreffen. Daraus werden Vorwürfe, Rechtfertigung und wiederum Vorwürfe. Das schaukelt sich sehr schnell hoch und führt zu Streit und Eskalation", sagt Veronika Lattig.

Leidtragende sind dabei immer die Kinder

Jährlich hat Veronika Lattig etwa 30 bis 40 Paare beraten, etwa 20 von ihnen haben sich auf einen längeren Prozess von etwa ein bis zwei Jahren eingelassen. "Es funktioniert aber nur, wenn beide Partner dazu bereit sind. Die Frauen, die zu mir gekommen sind, sind eher bereit etwas zu verändern wollen. Im Laufe der Jahre ist die Zahl der beratungswilligen Männer aber gestiegen."

Die Leidtragenden bei Ehekonflikten sind immer die Kinder. Diese stehen zwischen den Eltern. "Geht es dem Paar gut, geht es auch den Kindern gut. Sie lernen, vieles nonverbal von den Vorbildern. Und das sind zuallererst die Eltern", sagt Veronika Lattig. Barbara Hupe fügt hinzu: "Besonders nahe ging mir ein Fall, als ein Kind, das seine Familie malen sollte, dieses ablehnte. Es sagte als Begründung: ,Ich will den Papa nicht drauf malen.‘ Der Vater sollte nicht mit auf das Bild. Er gehörte nach Ansicht des Kindes nicht mehr zur Familie. Kinder sind oft Symptomträger von schwierigen Elternbeziehungen."

In den Beratungen bekommen die Paare keine guten Ratschläge, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. "Am Anfang stehen oft pauschale Vorwürfe wie: , Du hast mir noch nie zugehört.‘ Oder: ,Du bist immer weg, wenn man dich braucht.‘ Von dort aus müssen die Partner den Weg zur Ich-Botschaft finden: ,Ich würde gern, dass ...‘ Oder: ,Es täte mir gut, wenn ...‘ Dann ist das Paar auf einem guten Weg", sagt Veronika Lattig und fügt hinzu: "Es ist übrigens erstaunlich, wie kreativ sie im Beratungsprozess mit der Zeit werden und ihre eigenen Lösungen finden und umsetzen." Für ihre Kollegin aus Görlitz ist es "beeindruckend, wie schnell Leute, die hierher kommen und die mich nicht kennen, sich nach kurzer Zeit öffnen und Vertrauen fassen".

"Selbstverständlich können sich die Ratsuchenden auf vollständige Diskretion verlassen", sagt Barbara Hupe. Gerade dieser Punkt war nach der Wende noch mit Ängsten verbunden. Was in den alten Bundesländern normal war zur Beratung zu gehen war es hier durch die Stasivergangenheit noch lange nicht. Das Misstrauen war damals groß. Veronika Lattig wurde öfter gefragt: "Aber Sie erzählen das hier doch nicht weiter?"

Frau wird von ihrem Partner allein gelassen

Paarkonflikte können auch durch Schwangerschaftsabbrüche entstehen, die viele Jahre zurückliegen. "Zu Probleme kommt es beispielsweise, wenn sich die Frau erneut von ihrem Partner allein gelassen fühlt. Der Satz, den der Partner vor Jahren gesagt hat: ,Das ist deine Entscheidung‘ kann nach langem Verdrängen plötzlich zum Problem werden", sagt Veronika Lattig.

Aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrungen bringt Veronika Lattig ihre Hoffnung zum Ausdruck: "Wenn die Klienten hier in der Beratung etwas verstanden haben und es wieder einmal schwierig wird in ihrem Leben, dann wissen sie, wie es geht, um dort wieder heraus zu kommen."

Von Raphael Schmidt

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