Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Ein schmerzlicher Abschied

Christlicher Obdachlosenhilfe-Verein in Borna steht vor der Auflösung

Borna. Am 20. April wird voraussichtlich die Geschichte des Bornaer Vereins Obdach St. Joseph enden. Fast achtzehn Jahre lang haben sich in diesem Verein Christen verschiedener Konfessionen um Mitbürger ihrer Stadt gekümmert, die in sozialen Schwierigkeiten stecken.

Adelheid Junge war bis Anfang März von der Arge gefördert beim Verein Obdach St. Joseph beschäftigt. Der Tagestreff, in dem sie mitarbeitete, war eine beliebte Anlaufstelle für Bornaer Bürger, die wohnungslos sind oder in Gefahr, ihre Wohnung zu verlieren.

Die sozialen Spannungen der Nachwendezeit waren in Borna unübersehbar. Arbeitsplätze brachen weg, Mieten stiegen, Räumungsklagen häuften sich, eine stetig steigende Zahl von Menschen suchte Halt im Alkohol. Betrunkene, die auf Bürgersteigen lagen oder in Gruppen auf dem Marktplatz standen, gehörten damals fast schon zum Stadtbild, erinnert sich der damalige katholische Pfarrer Michael Teubner. Als er die Misstände Anfang der 90er Jahre in einer Rede vor den Bornaer Stadtverordneten ansprach, stieß er auf Widerstand: "Maßlos übertrieben!", hielt man ihm vor. "Solche Probleme haben die im Westen, aber doch nicht wir."

Unter den Christen der Stadt fanden sich einige, die Pfarrer Teubners Sicht auf die Lage teilten und zu Lösungen beitragen wollten. Mitglieder der freien evangelischen, der evangelischlutherischen und der katholischen Gemeinde gründeten 1993 den Verein Obdach St. Joseph und begannen mit einem montäglichen Treff für sozial Schwache im katholischen Gemeindesaal. Nach einem knappen Jahr zog die Initiative in separate Räume um und baute dort ein Beratungs- und Betreuungsangebot auf, das für die Betroffenen täglich erreichbar war. Es entstanden ein Tagestreff mit Mittagstisch und eine Kleiderkammer. Später übernahm der Verein auch die Notübernachtung für die Stadt Borna und eröffnete ein ambulantes Angebot betreuten Wohnens.

"Wir haben in den vergangenen Jahren vielen Menschen zu einer Wohnung verholfen", erzählt Regina Ezold, die Geschäftsführerin des Vereins. Die Arbeit von Obdach St. Joseph war nicht nur bei den Hilfsbedürftigen gefragt, die hier neben konkreter Unterstützung vor allem soziale Kontakte suchten. Nachdem sich das Blatt wendete und der Wohnungsnotstand einem -leerstand wich, begannen auch die Wohnungsgesellschaften die Dienste des Vereins zu schätzen. Bei Wohnungssuchenden, die hier betreut wurden, konnten die Vermietungsfirmen darauf vertrauen, dass die Miete regelmäßig fließen würde.

Zum Verhängnis geworden sind dem Verein nun die veränderten Förderregeln der Arbeitsmarktmaßnahmen. Wie im sozialen Bereich nicht unüblich hatte der Verein einen großen Teil der Leistung mit geförderten Beschäftigungsverhältnissen abgedeckt, die eigentlich dazu dienen sollen, Arbeitskräfte für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. "Gewiss war das nicht die optimale Lösung", räumt Heinz Liebeskind ein, der als amtierender Vereinsvorsitzender nun vor der Aufgabe steht, den Verein aufzulösen. Auch wenn die Mitarbeiter häufig wechselten und keine fachliche Ausbildung in sozialen Berufen hatten, sei man bisher aber gut damit gefahren. Da die Arbeitslosenzahlen bundesweit gesunken sind, dürfen die Jobcenter ab sofort keine Stellen mehr fördern, die nicht in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Fast über Nacht stand Regina Ezold deshalb allein mit einer weiteren Mitarbeiterin da. "Mit ehrenamtlichen Kräften lässt sich das bisher Geleistete unmöglich auffangen", schätzt sie ein. Von den Politikern, die die Vereinsgründer einst berieten, fühlen sie sich jetzt im Regen stehen gelassen. Wie die Stadt die Obdachlosen- Notübernachtung dauerhaft fortführen will, die eigentlich eine kommunale Pflichtaufgabe ist, ist bis heute ebenfalls unklar. "Da wir die Mitarbeiter nicht aus der eigenen Tasche bezahlen können, haben wir keine andere Wahl als den Verein aufzulösen", bedauert Heinz Liebeskind. Eine bittere Situation für alle, die einst mit großem Enthusiasmus starteten. "Der Verein hat in hervorragender Weise und in unkompliziertem ökumenischen Miteinander zum sozialen Frieden in der Stadt beigetragen", sagt Michael Teubner, der seit 2002 nicht mehr in Borna ist. Ein ehemaliger Klient wohnt heute im Pfarrhaus und übernimmt dort Hausmeisterdienste. Der Pfarrer ist überzeugt: "Er ist wirklich zu neuem Leben gerettet worden. Allein für ihn hätte sich die Vereinsgründung gelohnt."

Von Dorothee Wanzek

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps