Geschichte hat ein Gesicht bekommen
Jugendliche im Gespräch mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus / Begegnungen mit modernen Medien festgehalten
Weimar. Junge Leute aus mehreren europäischen Ländern haben auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werkes an einer Begegnung mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus teilgenommen. Ihre Erfahrungen hielten sie in Filmen, Hörbeiträgen, Zeitungsartikeln und im Internet fest.
"Das war eine tolle Teamarbeit zwischen den Generationen", sagt Adam Symonowicz. Die ältere Generation hat ihre Erinnerungen erzählt, die jüngere Generation hat sie festgehalten - in Filmen, Hörbeiträgen und Texten. 20 junge Erwachsenen aus Deutschland, Polen, Litauen, der Ukraine, Russland, Tschechien und Mazedonien erhielten dabei Einblicke in besondere Erinnerungen und ein wichtiges Kapitel jüngster Vergangenheit: Sie haben an einer Begegnung mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus teilgenommen. "Erinnern und Gedenken im Zeitalter des Web 2.0" hieß das Projekt, zu dem das Maximilian- Kolbe-Werk eingeladen hatte. Ein erstes Treffen hat im Januar in Auschwitz stattgefunden, ein zweites folgte jetzt in Buchenwald bei Weimar. Dort präsentierten die jungen Leute dann zum Abschluss die Ergebnisse, die auch auf einer eigenen Internetseite präsentiert werden.
Adam Symonowicz war der Trainer der Videogruppe: "Wir haben zwei Filme gemacht: einen fröhlichen über unseren Workshop und einen traurigen über die Erinnerungen der Zeitzeugen." Dazu kommt jede Menge Videomaterial, das nicht zu einem Film verarbeitet wurde. "Wir haben die Berichte aller Zeitzeugen aufgenommen. Mit dem Material könnte man viele Stunden Film produzieren. Die Lebensgeschichten sind so emotional und so stark, dass sie es wert wären."
Die Professionalität der Arbeit der Jugendlichen lobt Markus Priesterrath vom Bündnis für Demokratie und Toleranz. Das ist um so erstaunlicher, weil für viele der jugendlichen Teilnehmer die professionelle Arbeit mit den modernen Medien ein "Sprung ins kalte Wasser war", wie es bei der Vorstellung der Ergebnisse immer wieder hieß. Journalistische Crashkurse und erfahrene Trainer wie Adam Symonowicz leisteten Hilfestellung. "Ich freue mich, dass dieser Dialog über die Generationen und verschiedene Länder hinweg so gut gelungen ist", sagt Priesterrath. Das von der Bundesregierung im Jahr 2000 gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz unterstützte die Begegnung finanziell.
Auch die Zeitzeugen sind fasziniert von dem, was die jungen Leute aus den Gesprächen mit ihnen gemacht haben. "Ich bin begeistert", sagt Henriette Kretz (76) aus Antwerpen, die in Polen geboren ist und als Kind das Ghetto Sambor in der heutigen Ukraine erlebt hat. Und Pavel Rubinchik (83) aus St. Petersburg, der als 13-Jähriger auf der Flucht vor den Deutschen seine Familie verlor und ins Ghetto Minsk kam, lobt den "Elan der jungen Leute". Er ist sich sicher: "Die Erkenntnisse, die sie über den Nationalsozialismus gewonnen haben, werden sie ihren Familien und Freunden weitergeben."
Die Gespräche mit Henriette Kretz, Pavel Rubinchik und den anderen Zeitzeugen über das, was sie vor über einem halben Jahrhundert erlebt haben, und die Begegnungen mit authentischen Orten des NS-Terrors in Auschwitz und Buchenwald, hat bei den jungen Leute tiefe Spuren hinterlassen. Yuliana Ryazantseva aus Russland hat diese Eindrücke nach ihrem Besuch in Auschwitz- Birkenau in einem Gedicht verarbeitet: "Meine Augen schmerzen / seit langem kennen sie keine Tränen mehr. / Der Schornstein vor mir spuckt Rauch. / Und es ist unwichtig, / dass ich bald auch / mit ihm in den kalten Himmel steige", heißt es darin.
Für Wolfgang Gerstner, den Geschäftsführer des Maximilian- Kolbe-Werkes war diese Art der internationalen Begegnung mit der Umsetzung der Ergebnisse mit Hilfe moderner Medien eine Premiere. Seine anfängliche Skepsis ist der Begeisterung gewichen. "Es ist gelungen, der Geschichte ein Gesicht zu geben. Und immer, wenn das passiert, verändert sich etwas in der Welt." Auch wenn die jungen Leute inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sind, wollen sie an dem Thema dran- und miteinander in Verbindung bleiben. Die während des Projektes entstandene Internetseite soll das ermöglichen.
Von Matthias Holluba
Hinweis
Die Internetseite des Projektes hat folgende Adresse: www.maximilian-kolbe-werk.blogspot.com/ Das Maximilian-Kolbe-Werk mit Sitz in Freiburg unterstützt ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager in Polen und anderen Ländern Mittel- und Osteuropas. Es organisiert Hilfsangebote, Erholungsaufenthalte und Zeitzeugenbegegnungen.