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Mit Familie und eigener Wohnung

Annett Martin träumt von einem selbstständigen Leben und die Mitarbeiter im St. Johannesstift in Ershausen helfen, damit ihr Traum Wirklichkeit werden kann

Ershausen (mh). Das St. Johannesstift in Ershausen ist für über 200 Erwachsene ein Zuhause. Trotz ihrer Behinderungen können sie dort ihr Leben so selbstständig wie möglich gestalten.

In der eigenen Wohnung auf dem Gelände des St. Johannesstifts in Ershausen: Annett Martin mit Heimleiter Uwe Christ

Annett Martin hat einen Traum: "Ich möchte mit meinem Partner zusammen in eine eigene Wohnung ziehen. Wir wollen heiraten und Kinder haben. Aber vorher will ich mit Rauchen aufhören", sagt die junge Frau. Seit ihrem vierten Lebensjahr lebt sie in Heimen: 1982 kam sie ins Kinderheim nach Kefferhausen und mit 22 Jahren ins St. Johannesstift nach Ershausen, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung.

Seit über 100 Jahren gibt es in Ershausen Behindertenarbeit. Gegründet wurde die Stiftung 1884 als Kleinkinderverwahranstalt. Bis heute existiert ein Kindergarten, aber der Schwerpunkt liegt auf der Behindetenarbeit in Ershausen und an den Außenstellen in umliegenden Orten. 200 Plätze bietet das Wohnheim. Die Werkstatt mit eigener Landwirtschaft bietet ebenfalls rund 200 Arbeitsplätze.

"Nach der Wende haben wir die Möglichkeiten genutzt, vieles umoder neu gebaut", berichtet Geschäftsführer Rudolf Stöber. Vor allem die Wohnsituation hat sich erheblich verbessert. Waren zu DDR-Zeiten Fünf- bis Sechs-Bett- Zimmer normal, gibt es seit 2008 nur noch Ein- oder Zwei-Bett- Zimmer. Das und die verbesserte Personalsituation sind Voraussetzungen dafür, den Bewohnern so viel Selbstständigkeit wie möglich zu gewähren.

Annett Martin ist der Erfüllung ihres Traumes schon ein ganzes Stück näher gekommen. "Im St. Johannesstift haben wir verschiedene Wohnmöglichkeiten", erklärt Heimleiter Uwe Christ. Annett Martin wohnt beispielsweise seit einiger Zeit nicht mehr in einer Wohngruppe, sondern in einer zum Johannesstift gehörenden Wohngemeinschaft - zusammen mit einer Freundin und seit Kurzem auch mit ihrem Partner.

Regelmäßig kommt der Betreuer vorbei, sieht nach dem Rechten, hilft wo es Probleme gibt, aber ansonsten können Annett Martin und ihre Mitbewohner ihr Leben selbst gestalten. Und das unterscheidet sich gar nicht so sehr vom Leben der Menschen außerhalb des Stiftes: "Um sieben stehe ich auf, wasche mich, putze mir die Zähne. Dann mache ich das Frühstück und wecke meine Mitbewohnerin", berichtet sie. Ihr Freund ist eher aufgestanden, weil er um 6.45 Uhr zur Arbeit gehen muss. Annett Martins Arbeitszeit in der Küche des Johannesstifts beginnt um 7.45 Uhr und endet um 15 Uhr. "Danach ruhe ich mich etwas aus. Dann mache ich das Abendbrot." Und wenn die Drei zusammen gegessen haben, ist Freizeit, die sie entweder in der Wohnung verbringen, oder sie nutzen die vielen Möglichkeiten, die im Johannesstift angeboten werden: Tanz- und Theatergruppe, Radfahren und Wandern. Auch die Freizeitbeschäftigungen, die in dem Eichsfelddorf möglich sind, nutzen die Bewohner des Stiftes: Manche sind Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr oder im Sportverein. Für Rudolf Stöber ein wichtiges Stück Normalität: "Das Johannesstift gehört zu Ershausen dazu."

Natürlich müssen Annett Martin und ihre Mitbewohner sich auch um alltägliche Dinge wie Einkaufen und Saubermachen kümmern. Beim Umgang mit Geld oder bei der Hygiene gibt es immer mal wieder Probleme, bei denen der Betreuer helfen muss. Aber Heimleiter Christ ist zuversichtlich, dass die drei WG-Bewohner das in den Griff bekommen. "Manches geht sogar schneller, als wir erwartet hätten."

Dennoch: Rückschläge sind nicht ausgeschlossen. Auch Annett Martin hat sie schon erlebt: Als sie zum ersten Mal in eine eigenen Trainingswohnung innerhalb einer Wohngruppe gezogen ist, ist ihr das Alleinsein sehr schwer gefallen. Deshalb sind die Betreuer dann auf die Idee mit der Wohngemeinschaft gekommen, von der Annett Martin anfangs auch nicht sehr begeistert war. Jetzt aber will sie auf keinen Fall mehr zurück in eine Wohngruppe. Uwe Christ: "Wir müssen unseren Bewohnern die neuen Möglichkeiten zeigen, denn viele sind mit dem zufrieden, was sie haben, weil sie anderes nicht kennen."

Und wie geht es nun für Annett Martin weiter? Zusammen mit ihrem Freund soll sie innerhalb des Johannesstiftes eine Wohnung beziehen, um weiter Selbstständigkeit zu "üben". Dann käme der Wechsel vom Johannesstift ins Betreute Wohnen. Aber dieser Schritt ist groß und bringt neue Unsicherheiten mit sich. Die Betreuer können dann nur noch sehr selten vorbeikommen und die Gefahren, durch falsche Freunde in Geld- oder Alkoholprobleme zu geraten und so zu scheitern, sind groß. Dennoch: "Ausgeschlossen ist der Schritt nach draußen nicht", sagt Uwe Christ.

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