Anstoß
Die Qual (mit) der Wahl

Vergangene Woche habe ich meine Briefwahlunterlagen für die Europawahl bekommen. Und das ist erst der Anfang, denn 2009 ist wieder einmal ein Superwahljahr. Ich will mich nicht drücken, auch wenn ich am Wahltag nicht zu Hause bin, und stelle mich der Qual der Wahl. Wenn ich richtig gezählt habe, stehen 294 Abgeordnete aus 31 Parteien zur Wahl für das Europäische Parlament. Und wie immer sagen mir die meisten Namen nichts. Ich werde meine Entscheidung wohl oder übel von meinem Vertrauen in die Parteien abhängig machen.
Aber das ist nicht so leicht. In Wahlzeiten hagelt es ein Versprechen nach dem anderen - und gerade das macht mich skeptisch. Wer kann so viele Versprechen einlösen? Und ich scheine mit meiner Skepsis nicht allein zu sein. Für viele Bürger ist aus der Qual der Wahl eine handfeste Qual mit der Wahl geworden, auf die sie genauso verzichten wie auf politisches Engagement.
Ein unbekannter "Künstler" hat in Cottbus vor einigen Tagen seinem Unmut parteiübergreifend Luft gemacht. Er hat sich die Wahlplakate der großen Parteien vorgenommen, die an der Straße friedlich nebeneinander standen. Der "Künstler" hatte für jede Partei einen Kommentar in Form von aufgesprühten Worten: Für die PDS ein anklagendes "Stasi", auf dem Plakat der CDU das Wort "Henker", bei der FDP war "Finanzhaie" aufgesprüht und das Plakat der SPD mit "Verräter" überschrieben.
Im Alten Testament erzählt Jotam dem Volk, das einen König gewählt hat, eine Fabel (Richter 9,7-21): Die Bäume wollen einen König und fragen der Reihe nach den Ölbaum, den Feigenbaum und den Weinstock. Alle lehnen das Angebot ab. Sie wollen ihre Ruhe haben. Weil sich niemand findet, wird am Schluss der Dornstrauch gewählt, der weder Schutz noch Schatten gibt und für den ganzen Wald eine Gefahr darstellt. Jotam ist gegen eine Königsherrschaft für Israel. Vielleicht sollte die Fabel auf jeder Wahlbenachrichtigung stehen. Sie ist hochaktuell, wenn wir fragen: Von wem wollen wir in Zukunft regiert werden?
Es ist immer leichter, Wände zu beschmieren und seine Stimme zu verweigern. Es ist leicht, Politiker für ihre Fehler zu prügeln, wenn man selber keine Verantwortung trägt. Aber unter der falschen Wahl leiden wir alle gemeinsam wie die Bäume in Jotams Fabel. Und wir leiden, wenn die fähigen Köpfe ihre Ruhe haben wollen und andere machen lassen.
Vor Pfingsten beten wir in der Kirche um den Geist Gottes. Sein Geist ist es, der Einheit schafft und Bewegung bringt zum Wohl für die Menschen. Ich bin sicher, diesen Geist können wir im Superwahljahr 2009 gut gebrauchen.
Kaplan Marko Dutzschke aus Cottbus