Anstoß
Haltung annehmen
Bei unserem Sportlehrer mussten wir uns am Beginn der Stunde immer in einer Reihe aufstellen und Haltung annehmen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie albern wir Schüler diese Übung fanden und wie ernst unser Lehrer die Sache nahm, wenn er rief: "Wir begrüßen uns mit einem Sport frei!" Wenn wir in seinen Augen nicht schnell genug an der Linie Aufstellung genommen hatten, flog auch schon der Schlüsselbund in unsere Richtung. Heute wäre man mit dieser Übung sicher reif für einen Auftritt in der Bildzeitung. Aber es geht mir nicht darum, mit einem ungeliebten Lehrer abzurechnen. Inzwischen glaube ich, in der Sache hatte er Recht. Nicht die Übung war albern sondern wir Schüler. Die äußere Haltung sollte uns nach einem langen Schultag sammeln und aufmerksam machen.
Vor drei Wochen habe ich mich bei unserer Kinderwallfahrt an diese alte Übung erinnert. Jedes Jahr laufen wir auf einem wunderschönen Weg ungefähr zwölf Kilometer von Wittichenau nach Rosenthal. Viel Bewegung an frischer Luft macht bekanntlich müde. Da geht es uns Erwachsenen nicht anders als den Kindern. Beim Gottesdienst in der kühlen Wallfahrtskirche musste ich gegen meine Müdigkeit ankämpfen. Zum Evangelium stand ich mit hängendem Kopf und aufgestützten Armen im Chorgestühl. "So kannst du dich vor den Kindern nicht gehen lassen!" dachte ich bei mir. Also gab ich mir einen Ruck. Und siehe da, die bekannte Übung aus dem Sportunterricht funktionierte auch im Gottesdienst. Mit erhobenem Haupt und gefalteten Händen fiel es gar nicht mehr schwer, das Evangelium zu hören und auch der Predigt zu folgen. Die äußere Haltung hilft, sich zu sammeln und aufmerksam zu werden.
Natürlich übersehe ich nicht, was Jesus über die Äußerlichkeiten der Pharisäer gesagt hat: "Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen." (Matthäus 23,5). Diese Kritik scheint gut zu einer Einstellung zu passen, die ganz von so genannten Äußerlichkeiten absehen will. Aber ich glaube, Jesus kritisiert an dieser Stelle nicht die Haltung an sich, sondern, dass eine Haltung zur Fassade verkommen ist.
Es wäre falsch, darum ganz auf Äußerlichkeiten zu verzichten. Wenn wir einem Kind beibringen, beim Gebet die Hände zu falten, ist das nicht nur Fassade. Wir hoffen, dass etwas von dieser Haltung auf das Kind abfärbt. Und was in der Kindererziehung gilt, behält ein Leben lang seine Gültigkeit. Ich kenne einen Mann, der ist schwer dement und lebt im Heim. Und doch lieben die Schwestern diesen Mann wegen seines Lächelns und seiner unbedingten Höflichkeit. Beides kann keine Fassade mehr sein. Was die Schwestern erleben, ist das Ergebnis einer Haltung, die dieser Mensch ein Leben lang angenommen hat. Mein Sportlehrer hatte Recht, wenn er von uns gefordert hat, Haltung anzunehmen. Manche Haltungen prägen unser Leben durch und durch.
Kaplan Marko Dutzschke, Cottbus