Wohnungslose unerwünscht
Künftige Nachbarn versuchen, Ansiedlung eines Caritas-Projektes zu verhindern
Gera. "Ausgegrenzte werden hier ein weiteres Mal ausgegrenzt", sagt Dr. Andreas Lampert, Leiter von "Haus Emmaus" in Gera. Seit einigen Wochen erlebt die Caritas- Einrichtung für Obdachlosenhilfe massive Widerstände von künftigen Nachbarn.
Vor beinahe 20 Jahren haben Kapuzinerpatres in einem Mehrfamilienhaus im Geraer Stadtteil Zwötzen "Haus Emmaus" gegründet. Mit der Nachbarschaft gab es dort trotz anfänglicher Vorbehalte nie nennenswerte Probleme. Im Gegenteil. Durch Feste und andere gemeinsame Projekte ist ein gutes Verhältnis gewachsen. Die Nachbarn konnten miterleben, wie aus kleinen Anfängen ein breit gefächertes Hilfsangebot entstand und auch nach dem Weggang der Kapuziner aus Gera weiter wuchs. Männer, die nach einer Zeit der Wohnungslosigkeit wieder ein geregeltes Leben suchen, werden hier gezielt auf den Alltag in einer eigenen Wohnung vorbereitet. Es gibt betreute Gruppenwohnungen und ambulante Begleitung für diejenigen, die dauerhaft auf Unterstützung angewiesen sind. Auch für Obdachlose und Durchreisende gibt es spezielle Hilfen.
Jetzt hegt der Caritasverband Umzugspläne. Das Raumangebot in Zwötzen ist begrenzt. Für das betreute Gruppenwohnen werden zudem barrierefreie Wohnungen benötigt. Einige Bereiche sollen deshalb dauerhaft, andere nur, solange in Zwötzen umgebaut wird, im Plattenbauviertel Bieblach-Ost untergebracht werden.
"Einige Nachbarn wollten sich gar nicht informieren"
Die Caritas stand dafür gerade in Verhandlungen mit der Geraer Wohnungsbaugesellschaft Gewo, als im Frühjahr durch einen Zufall Anwohner von den Plänen erfuhren. Sie sammelten Unterschriften gegen das Vorhaben und teilten in offenen Briefen an die thüringische Ministerpräsidentin und den Geraer Oberbürgermeister ihre Ablehnung mit. Die Unterzeichner sahen die Sicherheit der Kinder in Gefahr. Sie befürchteten Alkohol- und Drogenkonsum vor dem Haus, Drogenhandel, Belästigungen und einen Wertverlust für das eigene Wohneigentum.
Von dem, was Mitarbeiter und Zwötzener Nachbarn in den vergangenen 19 Jahren erlebt haben, sei dieses Szenario weit entfernt, macht Andreas Zube, Geschäftsführer des Caritasverbands für Ostthüringen, deutlich. Er weist darauf hin, dass die Männer, die "Haus Emmaus" nutzen, dies freiwillig tun, um in ein normales Leben zurückzufinden. Im Blick auf Ordnung und Ruhe gebe es klare Regeln, deren Einhaltung auch überwacht werde. Im Übrigen sei eine Betreuung rund um die Uhr gewährleistet.
Zwischenzeitlich haben Gewo und Caritas die Nachbarschaft in Bieblach-Ost zu einer Aussprache und einer Ortsbegehung eingeladen. "Einige Nachbarn wollten sich aber offensichtlich gar nicht informieren. Sie sind von Anfang an in Widerstand gegangen", hat Andreas Lampert beobachtet. Sie hätten darauf beharrt, dass Fenstergitter, Keller-Trennwände und eine Videoüberwachung installiert werden müssten. Dass Caritas-Mitarbeiter, die seit Jahren mit den Betroffenen arbeiten, dies für unnötig halten, hätten sie ignoriert. Ein einziges Ehepaar sei der Einladung gefolgt, sich am jetzigen Standort von "Haus Emmaus" in Zwötzen ein eigenes Bild zu machen. Bei der folgenden Nachbarschaftsversammlung äußerten sich Heinz Roeske und seine Frau begeistert über die Ordnung in Haus und Garten, die sie vorgefunden hatten und zeigten sich überrascht, dass die meisten Bewohner täglich bis 17 Uhr arbeiten gehen.
An einer Konfrontation mit den künftigen Nachbarn ist weder der Wohnungsgesellschaft noch der Caritas gelegen. Von Anfang an hätten beide Kooperationspartner geplant, in Bieblach-Ost auch gemeinsam eine Familienbegegnungsstätte zu gründen, mit Angeboten wie Schuldnerberatung und Hausaufgabenbetreuung. Auch die Gründung eines Nachbarschaftsbeirats war vorgesehen, in dem gemeinsame Aktionen und Probleme im Wohngebiet besprochen werden können. Begonnen hat die Zusammenarbeit mit Pflege- und Dienstleistungen, die der Caritasverband älteren Gewo- Mietern anbietet.
Beleidigungen sind "schwer erträgliche Zumutung"
Beleidigungen und Diskriminierungen, wie sie von Einzelnen wiederholt unreflektiert in der Öffentlichkeit vorgetragen wurden, stellen nach Ansicht von Caritas- Geschäftsführer Andreas Zube aber eine "schwer erträgliche Zumutung" dar. Gemeinsam mit der Gewo prüft er zurzeit Alternativen zum vorgesehenen Standort. Wenn sich kein geeignetes Objekt findet, wolle man dennoch an dem Standort festhalten. In einer Stellungnahme lädt er den "weit überwiegenden Teil der Nachbarn, die dem ,Haus Emmaus‘ vorurteilsfrei und neugierig oder differenziert und skeptisch gegenüberstehen" ein, das Zusammenleben im Stadtteil gemeinsam zu gestalten. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gehörten in Deutschland wie Arztpraxen, Seniorenheime, Behinderteneinrichtungen und Jugendclubs selbstverständlich zur Infrastruktur eines Wohngebiets, schreibt Zube an die Adresse derer, die einen Standort fernab menschlicher Ansiedlungen fordern. Die Einbindung in ein intaktes Wohnumfeld diene der Integration der Bewohner und helfe der Nachbarschaft, den Umgang mit unterschiedlichen Lebensentwürfen zu lernen. Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen oder von Wohnungslosigkeit bedroht seien, hätten ein Recht auf gesellschaftliche Hilfe. Dies sei Ausdruck der hohen Lebensqualität in diesem Land.
Von Dorothee Wanzek