Beseelte Wesen aus Stein
Der Naumburger Meister und sein Werk / Eine Ausstellung von europäischem Rang
Naumburg. Die zwölf Stifterfiguren und der Westlettner des Naumburger Domes gehören zu den Höhepunkten gotischer Bildhauerkunst. Doch der Naumburger Meister und seine Mitarbeiter hatten ihr Handwerk bereits in Frankreich erlernt. Eine Ausstellung zeichnet ihren Weg nach.
Mit dem französischen König Childebert (+558) ziert sie auf goldenem Grund die Plakate, Kataloge und Eintrittskarten: die schöne Landgräfin Uta (+1046) aus dem Naumburger Dom. Seit rund 750 Jahren steht sie neben ihrem Mann Ekkehard (+1046) und im Halbrund mit zehn weiteren Stifterfiguren des Domes im Westchor der einstigen Kathedrale. Die Menschen der damaligen Zeit wussten um ihre Erlösungsbedürftigkeit. Deshalb ist es kein Zufall, dass die 1245-49 von der Werkstatt des Naumburger Meisters geschaffenen Abbildungen der frühen Domstifter um den Altar versammelt sind. Denn nur vom Glauben her erhofften sie sich ein Leben über den Tod hinaus. Wer den Westchor betritt, geht zunächst unter dem für die Sünden der Menschen Gekreuzigten des Lettners hindurch, den ebenfalls der Naumburger Meister schuf. Und in den Chorfenstern, von denen noch drei aus dem 13. Jahrhundert stammen, triumphieren die Erlösten in ihrem harten Kampf gegen eigene Laster.
Kunstwerke, die noch nie zusammen zu sehen waren
Der Westchor des Naumburger Domes steht im Mittelpunkt der Ausstellung des Landes Sachsen- Anhalt "Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen". Doch die von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatsstifts Zeitz sowie der Stadt Naumburg veranstaltete Schau will mehr. Sie geht der Frage nach, wer der Naumburger Meister war, dessen Name bis heute unbekannt blieb. Dabei zeichnet sie die Wege nach, die der Architekt und Bildhauer und seine Werkstatt zu Beginn des 13. Jahrhunderts vermutlich nahmen und verdeutlicht die vielfältigen Zusammenhänge europäischer Kathedralkultur.
"Dank der engen Kooperation mit zahlreichen Museen, Institutionen und Wissenschaftlern des In- und Auslandes, besonders Frankreichs, konnte für die Ausstellung versammelt werden, was sich so noch nie gegenüberstand und vielleicht auch nicht wieder zusammengeführt wird", sagt der Kunsthistoriker und Ausstellungssekretär Guido Siebert. Besonders deutlich ist dies im Dom selbst zu sehen. Dem Naumburger Westlettner stehen Teile des Lettners des Mainzer Doms gegenüber, rechts und links flankiert von Skulpturen aus Reims und Amiens, aber auch aus Magdeburg. Insgesamt wurden mehr als 250 Leihgaben aus zahlreichen europäischen Ländern und den USA zusammengetragen: Skulpturen und Architekturfragmente im Original und Gipsabguss, Glasmalerei, Handschriften, Werke der Goldschmiede- und Elfenbeinschnitzkunst.
"Mit dem Durchbruch eines neuen Wissenschaftsverständnisses, das sich hinsichtlich der Erkenntnis der Welt vorrangig auf die Erfahrung stützt, entwickelte sich auch eine entsprechende Kunstauffassung", so der Kurator, Direktor und Stiftskustos der Vereinigten Domstifter, Holger Kunde. "So schuf der Naumburger Meister etwa an den Kapitellen Abbilder einheimischer Pflanzen. Und er war in der Lage, Gestalten wie die frühen Stifter des Domes so darzustellen, dass sie als lebendige Wesen erscheinen." Trotz ihrer sehr individuellen Darstellung habe der damalige Betrachter in ihnen aber nicht vorrangig konkrete Personen, sondern erlösungsbedürftige Menschen gesehen.
Der Weg des Naumburger Meisters
Bei der Frage, wo der Naumburger Meister seine herausragenden Fähigkeiten erlernte, wird in den Ausstellungsräumen in der Domklausur nicht zuletzt auf die Burg von Coucy nordöstlich von Paris verwiesen. Sie war eines der bedeutendsten und den großen Kathedralen jener Zeit des 13. Jahrhunderts ebenbürtiges Bauprojekt. Zu einer ersten Blüte gebracht haben dürfte der Meister seine Fähigkeiten an der Kathedrale von Reims. "Europa hat von Reims die Einbindung der Skulptur in die Architektur übernommen. Und es hat gelernt, für die steinernen Gestalten einen Betrachtungs- und Interaktionsraum zu schaffen", betont denn auch Kunsthistoriker Siebert. Und hat dabei nicht zuletzt die Kathedralen von Mainz, Naumburg und Meißen im Blick, für die als sicher gilt, von derselben Werkstatt geschaffen worden zu sein.
Die Gruppe von Bildhauern, Steinmetzen und anderen Handwerkern, mit dem sich der Name "Naumburger Meister" verbindet, nahm innerhalb des Bauhüttenwesens des europäischen Mittelalters eine herausragende Stellung ein - das wird in der Ausstellung deutlich. Wer sich für die Schau etwas Zeit mitbringt, wird zugleich mit den geistigen und historischen Hintergründen wie etwa der Passionsfrömmigkeit oder der Adelskultur vertraut gemacht.
Von Eckhard Pohl