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Ausgerechnet in Rom:
"Hier blüht die Ökumene"

Ein Besuch beim Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in der Ewigen Stadt

Von Harald Krille und Matthias Holluba*
Rom. Wer Orte mit funktionierender Ökumene sucht, denkt nicht sofort an Rom. Doch der erste Blick täuscht. In der Stadt, die das Zentrum der katholischen Weltkirche beherbergt, klappt’s mit der Ökumene. Das zeigt ein Besuch beim Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde.

Jens-Martin Kruse hält nichts von der Klage über eine ökumenische Eiszeit. "Es gibt in Sachen Ökumene so viele positive Signale. Die Ökumene blüht und gedeiht", sagt der evangelische Pfarrer. Seine jüngsten Erfahrungen in dieser Hinsicht sammelt der evangelische Theologe an einem Ort, den manch deutscher Beobachter in den letzten Jahren nicht auf den ersten Blick mit ökumenischem Fortschritt in Verbindung bringen würde: Kruse ist seit August 2008 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom. Als Beleg für seine These kann er auf eine ganze Reihe ökumenischer Aktivitäten verweisen. Zu den Höhepunkten gehört dabei der ökumenische Gottesdienst, zu dem Kruses Gemeinde an Christi Himmelfahrt einlädt.
Wieso funktioniert ausgerechnet in Rom die Ökumene so gut? Rom ist nicht nur das Zentrum der katholischen Weltkirche. "Hier ist die Weltchristenheit präsent", erklärt Kruse. Dabei sind die Lutheraner im ökumenischen Miteinander seiner Ansicht nach ein entscheidender Faktor. Zwar ist die Kirche zahlenmäßig verschwindend klein. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (ELKI) zählt landesweit etwa 6000 Mitglieder. Die römische Gemeinde hat 500. Aber anderes als die größere Kirche der Waldenser, die in Italien etwa 60000 Mitglieder hat, können die Lutheraner unbefangener mit den Katholiken umgehen, meint Kruse. "Die Waldenser definieren sich aufgrund ihrer Verfolgungserfahrungen durch die katholische Kirche bis heute durch Abgrenzung. Wir Lutheraner verstehen uns da eher als durch die Reformation hindurchgegangene katholische Kirche."
Wer zur dieser Minderheit der Lutheraner gehört, steht im katholische Italien dennoch fast täglich vor der "Notwendigkeit zu erklären, dass er kein Häretiker ist", sagt Kruse. "Aber das schärft den Blick für die eigene Identität." Dabei ist die Situation der Gemeinde heute kaum noch mit der Gründungszeit vergleichbar. Damals (1819) gab es noch den Kirchenstaat und evangelische Gottesdienste konnten nur im Schutz der Preußischen Botschaft gefeiert werden. 1870, als der Kirchenstaat an das Königreich Italien angeschlossen und Rom dessen Hauptstadt wurde, konnte die Gemeinde in die Öffentlichkeit treten. Bis zum ersten Gottesdienst in der eigenen Kirche dauerte es aber noch bis 1922. Ökumene mit der katholischen Kirche wurde aber erst in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) möglich, nachdem die Katholiken ihr Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen neu bestimmt hatten. Seit dieser Zeit schrieb dann die lutherische Christuskirche in Rom aber gleich zweimal ökumenische Weltgeschichte: 1983 - im Jahr des 500. Geburtstages von Martin Luther - besucht hier mit Johannes Paul II. zum ersten Mal ein Papst eine evangelische Kirche. Und im Jahr 2010 feierte sein Nachfolger Benedikt XVI. mit der Gemeinde hier einen Gottesdienst. Dieses Ereignis kann Kruse nicht hoch genug bewerten: "Wenn der Papst bereit ist, Gottesdienst in unserer Tradition zu feiern, dann ist das doch für uns die Anerkennung als Kirche." Und was der Papst in Rom konnte, das kann er nun überall auf der Welt. Und so wird er bei seinem Besuch im September in Erfurt im Augustinerkloster einen vergleichbaren Gottesdienst halten.
Dass der Papst bei seinem Deutschlandbesuch so viel Wert auf Ökumene legt, verwundert Kruse nicht: "Ökumene ist vermutlich das zentrale Thema seines Pontifikats." Das zeigte sich schon in seiner ersten Ansprache nach seiner Wahl zum Papst, als Benedikt XVI. es als vorrangige Verpflichtung bezeichnete, "mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten".
Natürlich sieht auch Kruse, dass sich in manchen theologischen Fragen nichts bewegt. Aber: "Hinter die gelebte und gefeierte Ökumene kann niemand zurück. Und die theologischen Fragen werden sich dann klären." Dabei müsse man - was die Äußerungen der katholischen Kirche betrifft - lernen, "zwischen den Zeilen zu lesen". Da sende der Vatikan viele positive Signale. Wenn es dann einmal katholische Äußerungen gibt, die ökumenisches Porzellan zerschlagen, hilft es Kruse, "wenn unsere katholischen Partner anrufen und sagen, dass ist nicht unsere Position. Ökumene hat auch viel mit Aushalten zu tun."
Bei entsprechenden Äußerungen aus seiner eigenen Kirche reagiert Kruse schärfer. Aussagen wie die von Margot Käßmann aus ihrer Zeit als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dass sie von Benedikt XVI. in Sachen Ökumene nichts erwarte, seien "riesige Rückschläge". "Wir Protestanten müssen von unserem hohen Ross herunter und lernfähig werden." Für Kruse schließt das sogar ein, dass er sich einen Papst in einer synodalen Präsesfunktion für die Gesamtkirche vorstellen kann: ein "Erster unter Gleichen", der für alle Christen spricht.

* Harald Krille (Gemeinsame Redaktion der evangelischen Kirchenzeitungen in Mitteldeutschland) und Matthias Holluba (Tag des Herrn) besuchten Pfingsten gemeinsam Rom und den Vatikan.

Hinweise
Informationen über die evangelisch-lutherische Gemeinde in Rom gibt es im Internet: www.ev-luth-gemeinde-rom.org
Pfarrer Kruse freut sich über Pilgergruppen (auch aus katholischen Gemeinden), die ihm und seiner Gemeinde einen Besuch abstatten.
Das von Jens-Martin Kruse und Jürgen Krüger herausgegebene Buch über die "Ökumene in Rom" ist im Verlag "arte factum" in Karlsruhe erschienen (ISBN 978-3-938560-23-5) und kostet 28 Euro.

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