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Lateinische Gebete und bayrische Blasmusik

Tag für Tag kommen tausende Pilger nach Rom / Eindrücke einer Reise in das Zentrum der katholischen Welt

Im September besucht das Oberhaupt der katholischen Kirche und zugleich Staatsoberhaupt des Vatikanstaates Deutschland. Im Vorfeld sammelten zwei Journalisten in ökumenischer Eintracht Eindrücke vom Leben im Zentrum der Weltkirche.*

Spontaner Papst: Trotz erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zum Pfingstfest bricht Papst Benedikt XVI. immer wieder aus dem Ring seiner Personenschützer aus, um während seines Ein- und Auszugs im Petersdom unter dem Beifall der Gottesdienstbesucher Kinder zu segnen.

Auf der Via della Conciliazione geht am späten Nachmittag des Pfingstsonnabend gar nichts mehr. Trotz mehrerer Fahrspuren steht der Verkehr, unser Taxi mittendrin. Die prachtvolle "Straße der Versöhnung" führt direkt von Engelsburg und Tiberbrücke zu Petersplatz und Petersdom, dessen Kuppel sich am Ende der Blickachse majestätisch erhebt. 1937 ließ der faschistische Diktator Benito Mussolini die Schneise durch das dichtbebaute mittelalterliche Handwerkerquartier, das Borgo, schlagen. Damit erfüllte er einen alten Wunsch der Päpste und bedankte sich zugleich für die 1929 unterzeichneten Lateranverträge. Mit ihnen wurde der Frieden zwischen dem Papst und dem jungen italienischen Nationalstaat besiegelt. Zugleich sind sie die Grundlage der bis heute weltweit anerkannten völkerrechtlichen Unabhängigkeit und Souveränität des Kirchenstaates.

Breites Angebot: Der Papst in allen Varianten

Links und rechts der Via della Conciliazione reihen sich die Eingänge zu diversen exterritorialen Gebäuden des Vatikans. Das Päpstliche Presseamt hat hier seinen Sitz, um die Ecke herum bei der Engelsburg sind die Redaktionsräume von Radio Vatikan. Wappenschilder markieren die Sitze diverser Botschaften, die praktisch alle Länder, auch muslimische, am Heiligen Stuhl unterhalten. Durchmischt wird das Ganze von Hotels, Gaststätten und vor allem Souvenirläden. Die Bandbreite des Angebotes reicht von handwerklich und künstlerisch hochwertigen Kreuzen, Monstranzen und Leuchtern bis zur Plastikkrippe mit Maria, Joseph und dem Jesuskind in der Schneekugel. Dazwischen der Papst in allen Varianten: auf Teppichen, als Anstecknadel, als Plastikpuppe. Und weil gerade der Vorgänger von Benedikt XVI., der polnischstämmige Johannes Paul II. seliggesprochen wurde, ist auch dieser allgegenwärtig. Selbst beide zusammen sind zu haben - auf einem Frühstückstellerchen. Die Preise, so das Gefühl, steigen mit zunehmender Nähe zum Petersplatz ...

Romwallfahrt bayrischer Pferdezüchter

Doch uns steht der Sinn nicht nach Shopping, wir wollen zum Vatikan. Also aussteigen und zu Fuß weiter. Wir trauen unseren Ohren nicht: Aus Richtung Petersplatz erklingt gute bayerische Marsch- und Volksmusik. Ungläubiges Staunen: Pferdewagen mit Fässern Münchner Brauereien beladen, andere mit den Modellen bayerischer Kirchen, sind für das Verkehrschaos verantwortlich. Dazwischen Blaskapellen, Reiterformationen und Trachtengruppen. Schrill kreischt eine Schar asiatischer Touristinnen auf, als einer der Kutscher über ihren Köpfen wieder und wieder seine Peitsche knallen lässt. Der Zug quält sich rund um den Petersplatz durch die unübersehbare Menge von Schaulustigen. Dicht gefolgt von den dröhnenden Fahrzeugen der Stadtreinigung, die jeden Pferdeapfel sogleich wegkehren. 42 Pferde und sechs Gespanne, so erfahren wir später, gehören zur Rom-Wallfahrt des Bayerischen Pferdezuchtverbandes. Begleitet von fünf Musikgruppen aus Deutschland, Österreich und Italien.

Fest in bayrischer Hand: Unter den Tausenden, die zu Pfingsten nach Rom gekommen sind, sind auch zahlreiche Pilger aus der Heimat des Papstes.

Wir müssen zum Bronzetor am rechten Ende der Kolonnaden, dem Haupteingang zum Päpstlichen Palast. Dort sind die bestellten Eintrittskarten für die Messe mit dem "Heiligen Vater" am Pfingstsonntag für uns hinterlegt. Zwar ist der Besuch von Gottesdiensten oder der Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz kostenlos. Aber selbst für Sankt Peter, die größte Kirche der Welt, die immerhin bis zu 60 000 Gläubigen Platz bietet, gibt die "Präfektur des päpstlichen Hauses" Billets für die Teilnahme aus. Wie viele Pilger jährlich nach Rom kommen, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Zudem: Wer ist Pilger und wer "nur" normaler Tourist? Die Stadt Rom zählte im vergangenen Jahr 20 Millionen Übernachtungsgäste - mithin im Durchschnitt rund 55 000 pro Tag. Tendenz steigend.

Zwei Schweizergardisten in maßgeschneiderter Renaissanceuniform bewachen mit mächtiger Hellebarde das Bronzetor wie auch jeden anderen Eingang in den Vatikan. 110 Mann stark ist das einzige militärische Korps des Vatikan für die unmittelbare Sicherheit des Papstes und seiner Gebäude zuständig. Die Prunkgewänder dienen der Repräsentation - ansonsten tragen sie schlichte blaue Uniformen, sind in Nahkampf und Personenschutz trainiert, tragen Pfefferspray und moderne Schusswaffen bei sich. Sie werden den Papst auch bei seinem Deutschlandbesuch begleiten - dann aber in Zivil.

Höchste Kriminalitätsrate der Welt

Daneben gibt es die Vatikanische Gendarmarie, die alle Polizeiaufgaben wahrnimmt. Großen Wiederhall fand vor einiger Zeit die Meldung, dass der nur 0,44 Quadratkilometer große Kirchenstaat bezogen auf seine wenigen Hundert Bewohnern die höchste Kriminalitätsrate der Welt habe. In die Statistik fallen eben auch alle Taschendiebstähle auf dem täglich von Tausenden besuchten Petersplatz.

Offizielle Amtsprache ist übrigens Latein - doch darin werden nur die offiziellen Dokumente abgefasst. Verkehrsprache ist Italienisch. Immerhin aber soll es in einem Gebäude nicht weit von der Peterskirche den wohl weltweit einzigen Bankautomaten mit wahlweise lateinischer Menüführung geben ... Und die weltweit meistfrequentierte Apotheke befindet sich hinter den Mauern des Kirchenstaates: Wer ein Rezept für ein in Italien sonst nicht oder nur wesentlich teurer erhältliches Medikament vorweisen kann, bekommt so Einlass in die sonst verschlossene Stadt und die päpstliche Apotheke.

Zwischen Comicfiguren, Gladiatoren und Politikern: Der Papst als Plastikfigur.

"Sicher ist sicher", sagen wir uns und frühstücken am Pfingstsonntag schon um sieben Uhr. 20 Minuten vor acht Uhr sind wir mit unseren Eintrittskarten auf dem Petersplatz, 9.30 Uhr soll die Messe beginnen. Es erwartet uns eine fünfreihige Warteschlange, die bereits das halbe Rund des wahrlich nicht kleinen Platzes füllt. Der Begriff Weltkirche wird greifbar: Afrikaner, Asiaten, Nord- und Südamerikaner, Ost und Westeuropäer gehören zur Warteschar. Unmittelbar vor und hinter uns sind deutsche Pilger. Die Stimmung ist gelöst - bis sich eine italienische Gruppe von der Seite untermischen will. "Nix da! Hinten, hinten, sonst Patschi, Patschi!", droht ein frommer Germane lautstark.

Nach dem Gottesdienst, den Tausende per Videoleinwand auf dem Peterplatz verfolgen, ist die römische Luft schon wieder von Peitschenknall und "Dicke-Backen- Musik" erfüllt. Die Pferde- Pilger aus Bayern und ihre begleitenden Blaskapellen nehmen Aufstellung für das mittägliche Angelusgebet des Papstes, dass er aus dem Fenster seines Arbeitszimmer im obersten Stock des vatikanischen Palastes hält. Nach dem Gebet begrüßt er die größten Pilgergruppen in ihren Landessprachen. Während Brasilianer, Slowaken und US-Amerikaner zur Antwort jubeln und winken, intonieren die deutschen Kapellen das ökumenische "Großer Gott, wir loben dich". "Danke für die schöne Musik aus meiner Heimat", antwortet Benedikt, und: "Vergelt‘s Gott!"


Von Harald Krille und Matthias Holluba
*Harald Krille (Evangelischen Kirchenzeitungen in Mitteldeutschland) und Matthias Holluba (Tag des Herrn) besuchten Pfingsten gemeinsam Rom und den Vatikan.


Hinweis

Buchtipp für weitere Hintergrundinfos zum Vatikan: Erbacher, Jürgen (Hg): Der Vatikan. Das Lexikon, St. Benno- Verlag Leipzig; ISBN 978-3-7462- 2752-8; Preis: 9,95 Euro


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