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Anstoß

Die Mär vom Kerngeschäft: Paulus und McKinsey

Die Kirche muss nicht so sehr danach fragen, was ihr Kerngeschäft ist, sondern sie muss sich auf die Forderung Jesu besinnen "Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium". Und dafür ist der heilige Paulus der Spezialist und nicht Unternehmensberater wie McKinsey, meint Guido Erbrich aus Bautzen.

Guido ErbrichIn einer katholische Kirche in New Orleans hängt ein Spruch hinter dem Altar: "Wenn du Gott draußen in den Straßen nicht findest, wirst du ihn hier auch nicht entdecken." Seit einigen Jahren wird gern vom Kerngeschäft gesprochen. Der Begriff kommt aus der Wirtschaft. Unternehmensberater wie McKinsey verwenden ihn, um in großen Firmen den wesentlichen Handlungsstrang zu entdecken. Damit fällt es leichter, sich von nicht so zentralen Bereichen zu trennen, diese abzuwickeln, auszulagern oder auch als neue Unternehmen zu gründen. Unseligerweise hat dieses Denken auch die Kirchen erreicht. Doch was soll das Kerngeschäft der Kirche sein?

Kirche lebt in Vollzügen. Sie nennt diese "Martyria, Liturgia und Diakonia " - das sind auf Deutsch: das Glaubenszeugnis, die Feier des Glauben und die tätige Nächstenliebe. Wie diese kirchlichen Lebensvollzüge zusammenspielen, hängt entscheidend von der Situation ab, in der wir und damit auch Kirche leben. Was sind die aktuellen Herausforderungen? Das ändert sich von Ort zu Ort, von Straße zu Straße, nicht nur in New Orleans. Schon allein die unterschiedlichen sozialen Räume einer Stadt stellen Gemeinden vor verschiedene Probleme.

Wer Kirche als lebendiges Ganzes versteht, wird schnell an die Grenzen des Begriffes "Kerngeschäft" gelangen. Eigenartigerweise besteht die Versuchung, besonders die Liturgia als Kerngeschäft herauszustellen. So wichtig diese ist, das Reduzieren auf nur einen Vollzug verkürzt die Forderung Jesu: "Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium."

Der "Spezialist" für dieses Hinausgehen ist der Apostel Paulus. Auf seinen Reisen kommt er in viele Gemeinden. Dabei entwickelt er einen Blick für die Situation vor Ort, geht darauf ein und verliert trotzdem nicht den Blick fürs Ganze. Vieles von dem, was er vor annähernd 2000 Jahren in seinen Briefen geschrieben hat, trifft auch heute zu. Obwohl der Anlass meist konkret war, ist seine gesamte Herangehensweise so, dass sie übertragbar ist: spezifisch für die Situation mit dem Augenmerk für das große Ganze.

Paulus steht für eine Kirche, die Räume schafft und nicht verengt; die sich herauswagt und auch etwas riskiert; die sich um eine Mitte versammelt und sich nicht ums Kerngeschäft schert. Es ist eine Kirche die Gottes Gegenwart an den unterschiedlichsten Orten der Welt sucht. Schade, dass das Paulusjahr in diesen Tagen zu Ende geht.

Guido Erbrich, Bautzen

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