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Aller Anfang ist wüst und wirr

Zum neuen Jahr

Pater Bernhard Kohl

"We ha aräz hajetah tohu wa-bohu - Die Erde aber war wüst und wirr". So beschreibt das Buch des Anfangs, das Buch Genesis, in hebräischer Sprache nicht irgendeinen Anfang: es handelt sich um die Beschreibung des schöpferischen Anfangs Gottes mit seiner Welt.

Wüst und wirr, das mag äußerlich vielleicht an den Zustand mancher Wohnung nach den zurückliegenden Feiertagen denken lassen. Wüst und wirr beschreibt aber vielleicht auch den Punkt, an dem ich als Mensch zu Beginn des neuen Jahres stehe: Die Festtage sind vorbei und ich komme aus dem vollen Lauf zur Ruhe. Etwas Neues, etwas Unberührtes liegt wie eine frische Schneedecke vor mir. Nun muss ich mich entscheiden, ob ich schnell und forsch über diese Schneedecke hinwegtrampeln, oder ob ich mich behutsam, Schritt für Schritt, in sie hineintasten möchte.

Als Mensch stehe ich am Beginn des neuen Jahres vor der Aufgabe überlegt und einfallsreich mit meinem Leben und meiner Lebenszeit umzugehen. Ich stehe vor der Aufgabe schöpferisch damit tätig zu werden.

Schöpferisch zu handeln meint im Buch Genesis, dass Gott ordnend tätig wird, dass er das wüste und wirre Chaos, die Unsortiertheit des Anfangs, bändigt und aus einer lebensfeindlichen eine lebensfördernde, ja lebensfreundliche Umwelt schafft. Gott möchte von Anfang an, dass sich seine Geschöpfe zu ihrem Wohl entfalten können. Deswegen errichtet er durch seine Schöpfung das Lebenshaus als eine Ordnung um des Lebens willen. Schöpfung ist in biblischem Verständnis die Schaffung und Sicherung von Lebensmöglichkeit in einer Welt, die von sich aus, das heißt ohne Gott, keinen Bestand hätte.

Als Menschen müssen und können wir nicht wie Gott aus dem Nichts schaffen. Aber wir sind ein Teil seiner Schöpfung und haben Anteil an seinem Schöpfungswerk. Deswegen stehen auch wir vor der Aufgabe in diesem Jahr schöpferisch im Sinne Gottes zu wirken. Wir stehen vor der Aufgabe Lebensfeindlichkeiten entgegenzustehen: gesellschaftlichen Zuständen, die Menschen daran hindern in Würde zu leben; Strukturen, die Menschen daran hindern sich in der Schöpfung Gottes zu entfalten; Handlungsweisen, die es Menschen unmöglich machen sich als geliebte Geschöpfe Gottes anzunehmen.

Positiv gewendet: Unsere schöpferische Aufgabe besteht darin, Leben zu ermöglichen, lebensfreundliche Räume zu gestalten und das Gelingen von menschlichem Leben zu fördern - unseres eigenen Lebens und des von anderen.

Das vergangene Jahr ist das bleibende, das gelebte und damit unser Jahr. Ob das neue Jahr, an dessen Anfang wir nun stehen, auch unser Jahr werden wird, das weiß nur Gott. Wir dürfen aber darauf hoffen und vertrauen, dass wir am Ende dieses Jahres mit Gottes Hilfe auf unser schöpferisches Schaffen und Handeln, auf unseren Umgang mit Gottes Schöpfung zurückschauen dürfen, wie es im Buch Genesis geschieht: "Und siehe: Es war sehr gut - we-hinneh tow meod".

P. Bernhard Kohl OP,
Geistlicher Beirat

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