Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Fast wie im Stall von Betlehem

Im Armenhaus Stenz kehren Gäste aus aller Welt ein

Das Pilgern auf dem Jakobusweg erfreut sich großer Beliebtheit. Wer auf dem sächsischen Abschnitt unterwegs ist, kann in Stenz bei Königsbrück in einem besonderen Haus übernachten: Das Armenhaus des Ortes ist nicht nur Museum, sondern auch Pilgerherberge.

Der Kreideschriftzug wirkt noch frisch. Vom östlichen Innenbalken grüßt er den Gast. "Nicht, wer viel hat, ist reich sondern wer wenig braucht, steht in Altdeutsch darauf. Im Armenhaus Stenz bei Königsbrück (Sachsen) am ökumenischen Jakobuspilgerweg Görlitz-Vacha wirkt alles schlicht. Ein Kreuz hängt an der Wand. Leinensäcke und Schafwolle bedecken Holzbänke. Auf dem Tisch steht eine Kerze. In der Ecke knistert Holz im Ziegelofen. Wie Maria und Joseph im Stall von Betlehem nächtigen Pilger oben auf Stroh. "Hier geht es nur einfach zu, meint Werner Lindner (53), Küster und Totengräber der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Königsbrück.

Seit 2002 gilt das Armenhaus als Museum. Seit Juli 2003 ist es auch Pilgerherberge. "Ein lebendes Museum, betont der Küster. "Die Pilger nutzen alle Gebrauchsgegenstände mit. Gemeinsam mit Siegmar Menschner vom Heimatverein betreut er das Haus. 1826 entstand das Armenhaus. Kärgliche Landwirtschaft prägte die Region. Sieben Bauern, vier Neugärtner, sechs Dreschergärtner und zehn Häusler lebten im Ort. "Trotz eigener Armut wollten sie für die Allerärmsten etwas tun, berichtet Werner Lindner. "Das war bittere Notwendigkeit. Für die Armenpflege war die Heimatgemeinde zuständig. Aus Preußen kehrte eine allein ste-hende Frau abgeschoben, ausgegrenzt, völlig verarmt in ihren Geburtsort Stenz zurück. "Es galt das Gebot christlicher Nächstenliebe. Rasch ließ die Gemeinde ein schlichtes Obdachlosenhaus bauen.

Bis 1900 bestand das Armenhaus. Fortan war es 39 Jahre Spritzenhaus der Feuerwehr. 1939 bis 2001 stand es leer. "Es verfiel zusehends. Fast wäre es in sich zusammengestürzt, erinnert sich Werner Lindner. Aus tiefer Sorge, aus Ehrfurcht vor der Leistung der Vorfahren errichteten die Stenzer das Haus wieder neu. Nur drei Wände standen noch. Dann suchte Esther Zeiher, Initiatorin des ökumenischen Jakobuspilgerwegs, nach Standorten für Pilgerherbergen. Das Armenhaus bot sich an. Verlief doch durch Königsbrück seit eh und je die alte Via Regia von Kiew nach Spanien.

Inzwischen weilten Pilger aus aller Welt in Stenz. Für jeden nimmt sich Werner Lindner Zeit. "Grüß Gott, tritt ein. Bring Glück herein, grüßt er stets. Es gibt dann 20 Liter Wasser. Etwas Holz fürs Feuer. Am nächsten Morgen Frühstück. "Ich brauche nirgends hin. Ich habe die Welt hier am Tisch, sagt der Küster. "Das ist oft gegenseitige Seelsorge. Das größte Geschenk. Ein Mitarbeiter der Landesregierung fragte ihn einmal, wer der prominenteste Gast hier war. Werner Lindner reagierte prompt: "Hier ist jeder, der einkehrt, prominent. Einmal beherbergte er auch einen Obdachlosen: Ein Wolgadeutscher aus Dresden lag völlig ausgezehrt auf der Bank vor der Kirche. "Den haben wir spontan aufgenommen.

Viele Pilger, so berichtet der Küster, suchen nach neuem Lebenssinn. Spätestens hier im Armenhaus halten sie inne. Sie entdecken den Reichtum der Einfachheit. Die Kraft kleiner Gesten. Das Schöne im Schlichten. "Wer Geld verliert, verliert etwas. Wer einen Freund verliert, verliert viel, schrieb Gotthard Christoph aus Lieske ins Gästebuch. "Wer Freude verliert, verliert alles. Jeder Mensch sollte sofort, wenn er spürt, die Freude zu verlieren, sich auf den Weg machen... Santiago ist das große Ziel.
Solche Begegnungen rühren Werner Lindner tief an. "Der Pilgerweg ist eine einzigartige Chance, einen neuen Horizont zu erreichen. Ein Geschenk, findet er. Stets reicht er Pilgern das evangelische Gesangbuch. Von 1828 aus Dresden stammt es. Pilger singen gern damit.

"Willkommen, liebe Einfachheit! schrieb Paul Töhnes im Gästebuch. In Stenz fand er neuen Gleichklang mit sich. "Was braucht der Mensch zum Leben? Ein Dach überm Kopf, einen Strohsack, eine Decke, ein wenig Wasser, Feuer im Ofen, einen Teller Suppe, ein Stückchen Brot, die Begegnung mit warmherzigen, wahrhaftigen Menschen und die Gewissheit, das man von einer höheren Macht geliebt wird, verewigten sich Regina und Frans aus Zwingenburg. "Dies alles durften wir hier im Armenhaus erfahren. Für Werner Lindner das wunderbarste Geschenk. Vor zwei Jahren kamen sogar Pilger am 23. Dezember. Heilig Abend zogen sie weiter. Sie brachten das Betlehem-Licht von der Königsbrücker Kirche in die Nachbarkirchen Tauscha und Schönfeld.

Der Küster selbst hat Heiligabend stets viel zu tun. Er bereitet das Krippenspiel vor. Er schmückt die Kirche. Er läutet die Glocken. Er spielt im Posaunenchor mit. Weihnachten ist für ihn tiefe Geborgenheit. In aller Fülle. Es ist die Ankunft des Herrn. Das Anzünden aller zwölf Kerzen am Altar. "Das gibt es nur einmal im Jahr. Weihnachten bezeugt für ihn mehr denn je Nächstenliebe. Den höchsten Wert eines Christen. "In den einfachsten Dingen liegt das Heil der Welt, meint Werner Lindner. Wenn er seinen Dienst beendet hat und alle Kirchgänger nach Hause gegangen sind, ehe er die Kirche zuschließt, singt er ganz allein, freudig für sich "Der Heiland ist geboren, freu dich, du Christenheit...

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps