Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Eine heilbare Krankheit

Winterakademie zu Reinhold Schneider: Teilnehmer informierten sich im Marienkrankenhaus Dresden über den Umgang mit Angst und Depression heute

Dresden. "Angst - Lebenserfahrungen des Schriftstellers Reinhold Schneider" hieß die Winterakademie im Bischof- Benno-Haus Schmochtitz. Auf dem Programm stand auch ein Besuch im Marienkrankenhaus Dresden.

Bilder der Angst: Ein Clown balanciert auf dem Drahtseil, ohne Sicherungsnetz, ohne Balancierstange, unter ihm ein schwarzes Loch. Die Zuschauer im Zirkuszelt blicken gespannt auf ihn: Ob er fällt? - Derselbe Mensch malt wenig später das rechte Bild: Verfolgungswahn. Nach dem Absturz blicken die großen Augen aus den Hochhäusern auf ihn, man tuschelt und zeigt mit Finger auf ihn.

"Die Depression blüht." Kurz und bündig bringt Chefarzt Friedemann Ficker die Situation auf den Punkt. Seit 1994 leitet er das Dresdner Marienkrankenhaus, eine Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie in Trägerschaft der Caritas. Und zurzeit ist keines der 170 Betten frei. Angsterkrankungen und Depressionen sind in Deutschland auf dem besten Weg zu den wichtigsten Volkskrankheiten zu werden. Prognosen sagen, dass im Jahr 2020 Depressionen nach Herzkrankheiten an zweiter Stelle stehen werden. Jeder fünfte Mensch bekommt im Laufe seines Lebens eine schwere, behandlungsbedürftige Depression.

Die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten in Erforschung und Behandlung erhebliche Fortschritte gemacht. Eine der wichtigsten Erkenntnisse dabei: Angstkrankheiten und Depressionen haben nicht nur etwas mit der Psyche des Menschen zu tun, sondern zu einem großen Teil (je nach Krankheit 20 bis 80 Prozent) mit rein biologisch- körperlichen Vorgängen. Das ist Friedemann Ficker wichtig, um den nach wie vor verbreiteten Vorurteilen entgegentreten zu können: "Depression hat nichts mit Charakterschwäche zu tun. Sie ist eine Krankheit, die mit Medikamenten und Psychotherapie behandelt werden kann."

Deutschland ist seiner Ansicht nach in Sachen Depression ein Entwicklungsland. Dies gelte zum einen für die Vorurteile und für das Schamgefühl der Betroffenen: "Ein gebrochenes Bein kann ich jedem zeigen und bekomme dafür noch Mitleid. Aber eine gebrochene Seele?" Zum anderen gilt das Urteil Entwicklungsland auch für seine Mediziner-Kollegen. Nur jede zweite Depression wird von Hausärzten erkannt. Depressionen und Angstkrankheiten verstecken sich hinter körperlichen Symptomen. Behandelt werden dann Herzstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen oder Magen- Darm-Probleme. Eine Besserung für den Patienten bleibt aus. Es gibt inzwischen, so Friedemann Ficker, eine Vielzahl von Medikamenten, die vom Fachmann mit Erfolg zum Einsatz gebracht werden können. Verbunden mit einer entsprechenden Psychotherapie bestehen gute Heilungschancen.

Angsterkrankungen und Depressionen sind nicht neu: Goethe hatte Höhenangst, Caesar Angst vor Katzen und Abraham Lincoln fürchtete sich vor Menschenmassen. Dass diese Krankheiten heute eine immer wichtigere Rolle spielen, dafür sieht Chefarzt Ficker auch die gesellschaftlichen Veränderungen als Ursache: Traditionen und soziale Strukturen zerbrechen, die Familien zerfallen, religiöse Bindungen gehen verloren, die Menschen vereinsamen und orienitieren sich rein materialistisch. Unbehandelte Depressionen haben erhebliche Folgen - die gravierendste: 15 Prozent der Betroffenen begehen Selbstmord.

Der Besuch im Marienkrankenhaus war für die Teilnehmer der Winterakademie eine Orientierunghilfe "inmitten der Ängste unserer Zeit". So hatten die Veranstalter - Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen, Bischof- Benno-Haus und Reinhold- Schneider-Gesellschaft - in die Einladung geschrieben. Reinhold Schneider, dessen 50. Todestages am 6. April gedacht wird, habe "Angst, Depression und Schwermut in seinem Leben in besonderer Weise erfahren". Anhand seiner Person hat die Tagung unter Hinzuziehung verschiedener Wissenschaften auch wichtige Fragen der Gegenwart beleuchtet.

Von Matthias Holluba

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps