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Medizin im falschen Fahrwasser

Katholisches Krankenhaus Halle: Psychotherapeut Dr. Piskorz wurde als Chefarzt verabschiedet

Am 29. Februar ist der Begründer und langjährige Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotheapie am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle, Dr. med. Johannes Piskorz, als Chefarzt verabschiedet worden. Piskorz war im Januar 65 Jahre alt geworden.

Dr. Johannes Piskorz

Herr Dr. Piskorz, 26 Jahre haben Sie die psychotherapeutische und psychosomatische Arbeit hier am katholischen Krankenhaus in Halle zunächst aufgebaut und bis heute geleitet. Mit Ihrem 65. Geburtstag geben Sie Ihr Amt auf. Fällt das schwer?

Es ist schon ein bisschen Wehmut dabei. Aber es ist auch gut so. Denn der medizinische Alltag gerät immer mehr in ein Fahrwasser, in dem sich die Medizin viel mit sich selbst und dadurch weniger mit dem Patienten beschäftigt. Es scheint, als ob Sekundäres den Rang primärer Wichtigkeit erhält. Indem der Arzt oder die Schwester damit befasst sind, den immer umfangreicher werdenden versicherungstechnischen und fi - nanzpolitischen Anforderungen zu genügen, geht ihnen Zeit verloren, die sie dem Patienten widmen könnten. Das ist keine gute Entwicklung. Dabei müsste doch in Anlehnung an ein Wort des Augustinus gelten: Für euch bin ich Arzt oder Schwester, mit euch bin ich Mensch.
Aber auch die Sprache verrät eine ungute Tendenz: Indem im Krankenhausalltag das Wort Kunde den Begriff Patient ablöst, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich die Patienten wie Kunden eines Warenhauses verhalten. Und auch der Begriff Leistungsträger anstatt Arzt und Schwester schafft Wirklichkeiten, die dem Ethos der Medizin nicht förderlich sind. Es gilt in den Kliniken also nicht nur zu schauen, wie man den politischen Vorgaben entsprechen kann, sondern diese auch auf ihre innewohnenden Gefährdungen und Verführungen abzuklopfen. Möge unser Krankenhaus da weiterhin einen klugen Kurs steuern.

Sie sind 40 Jahre lang als Arzt und Therapeut mit den psychischen Krankheiten von zunächst Kindern und Jugendlichen und bis heute von Erwachsenen konfrontiert. Wie hat Sie das in Ihrem Denken vom Menschen beeinflusst? Ist Ihnen besonders bewusst geworden, was für ein gebrechliches Wesen der Mensch ist?

Der Umgang mit den Patienten hat mich sanfter gemacht. Ich habe gelernt, Menschen nicht vordergründig zu verurteilen, sondern im Blick zu haben, warum ein Mensch so oder so geworden ist. Und ich habe die überraschende Erfahrung gemacht: Menschen, die zum Beispiel eine schwere Kindheit durchlebt haben, sind eben nicht zwangsläufi g auf einen bestimmten problematischen Lebensweg festgelegt, sondern können sich durch die Begegnung von positiv auf sie eingehenden Menschen aus ihrer Vergangenheit herausrappeln und zu einem gelingenden Leben fi nden. Es ist erstaunlich, wie eine liebevolle Großmutter, ein guter Lehrer, ein Freund, ein Seelsorger zum Licht auf einem Lebensweg werden können. In der Psychotherapie haben wir zudem gelernt, dass es gilt, Menschen nicht nur von ihren Defi ziten her zu sehen, sondern gleichzeitig die gelingenden Bereiche ihres Lebens in den Blick zu nehmen und diese zu bestärken. Und dies ist auch mir immer wieder gelungen.

In den letzten Jahren ist es möglich geworden, Untersuchungen am Gehirn eines lebenden Menschen zu machen. In der Folge gibt es Hirnforscher, die die Auffassung vertreten, dem Willen des Menschen liegen zeitlich bereits Hirnprozesse voraus, der Mensch könne also nur wollen, was ihm sein Gehirn vorgibt. Der freie Wille sei eine Selbstillusion. Welche Auswirkungen hat das auf die Psychotherapie?

Die Hirnforschung kann heute zwar das Wie der Übertragungsvorgänge im Gehirn besser erklären, nicht aber das Was, das Wesensmäßige der Inhalte. Wer als Naturwissenschaftler behauptet, über das Was Auskunft geben zu können, überschreitet seine Kompetenz.
Bei ihren Untersuchungen hat die Hirnforschung erkannt, dass Verhaltensänderungen Auswirkungen auf die Verschaltungen im Gehirn haben können und das Gehirn auch im Erwachsenenleben Plastizität besitzt. Das ist für die Medizin eine wichtige Erkenntnis, die bedeutet, dass sich auch über das Kindesalter hinaus Änderungen im Gehirn ergeben können. Allerdings gibt es andererseits gewichtige Hinweise, dass bei Menschen mit besonderer Gefühlskälte, also etwa Gewalttätern ohne jede Einsicht in ihr Fehlverhalten, häufi g neurobiologische Gehirndefi zite vorhanden sind. Diese Erkenntnisse berechtigen aber nicht zu grundsätzlichen Aussagen etwa über die freie Entscheidungsfähigkeit des Menschen. Dazu müssen unbedingt auch die anderen Wissenschaften wie Philosophie, Theologie, Psychologie zu Wort kommen.

Die Psychotherapie ist durch ihre Patienten ganz nah an den inneren Leiden der Menschen und deren Ursachen. Inwieweit müsste sie in die Gesellschaft hinein eine mahnende und kritische Aufgabe übernehmen?

Zunächst steht für uns Psychotherapeuten der einzelne Patient im Mittelpunkt und wie er darin bestärkt werden kann, seine Ressourcen zu nutzen. Darüber hinaus kommt der Psychotherapie natürlich auch eine gesellschaftskritische Dimension und eine prophetische Aufgabe zu. Allerdings muss ich nach 40 Jahren psychotherapeutischer Arbeit feststellen, dass auch emanzipatorische Bewegungen erstarren und mit sich selbst, ihren Organisationsformen und Abgrenzungen befasst sein können anstatt mit der kritischen Bewertung gesellschaftlicher Erscheinungen. Hinzu kommt: Auch der Psychobereich ist in der Gefahr, von sich zu meinen, alles erklären zu können.

Patienten leiden auch an den Folgen gesamtgesellschaftlicher Fehlentwicklungen. Wo zum Beispiel stimmt es in der Psyche der Gesellschaft nicht?

Nach 1990 haben in unserem Raum die psychogenen Esstörungen, also die Mager- und Brechsucht, enorm zugenommen. Ursache ist ein gesellschaftlich vermitteltes übersteigertes Schlankheitsideal. Meine Nachfolgerin Dr. Claudia Bahn will sich in ihrer Arbeit nicht zuletzt besonders diesen Patienten widmen.
Ein verheerender Irrtum mit schlimmen Folgen ist die in der Gesellschaft vorherrschende Auffassung, es gebe ein "Menschenrecht auf Glück. Es ist eine Vereinseitigung zu glauben, dass der Mensch sein Leben nur im ungetrübten Fall lebenswert leben kann. Denn entscheidend sind nicht so sehr die Belastungen, denen ein Mensch ausgesetzt ist, sondern die Art und Weise, wie er damit umgehen kann. Wenn gilt, dass einem Menschen das oder jenes nicht zustoßen darf, damit er sein Leben als gelingend erfahren kann, dürften Menschen mit schwerer Behinderung nicht glücklich sein. Es gibt aber glückliche Menschen mit schwerer Behinderung.

Auch die übermäßige Ökonomisierung des Lebens ist eine gesellschaftliche Fehlentwicklung mit negativen Folgen für die Menschen.

Sie haben kürzlich zum sechsten Mal zu einem interdisziplinären Gespräch zwischen Vertretern von Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften eingeladen. Warum halten Sie diesen Dialog für so wichtig?

Mit der hohen Spezialisierung der verschiedenen Wissenschaften sind diese in der Gefahr zu meinen, mit ihren eigenen Theorien alles erklären zu können. Auch der Psychobereich neigt dazu, anhand psychischer Phänomene Aussagen über die gesamte Gesellschaft zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Wissenschaften zu zentralen Fragen des Lebens austauschen und gemeinsam nach Antworten suchen.

Wird es die Hallenser Gespräche auch in Zukunft geben?

Das siebte Hallenser Gespräch im Februar 2009 ist jedenfalls in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie in Vorbereitung. Man wird sehen, wie es damit künftig weitergehen kann, zumal dabei ja auch immer fi nanzielle Aspekte eine Rolle spielen.

Sie haben sich in der Vergangenheit auch über das Symposium hinaus in der katholischen Akademiearbeit engagiert und unterstützen die Arbeit der katholischen Studentengemeinde. Werden Sie dies auch weiterhin tun?

Das habe ich selbstverständlich vor. Möglicherweise kann ich mich im Blick auf die Akademie auch noch ein bisschen stärker auf dem Hintergrund meines Faches einbringen. Die Studentengemeinde habe ich als junger Mann und Christ als sehr wertvoll erfahren und möchte sie deshalb auch weiterhin mit meinen Möglichkeiten fördern.

Interview: Eckhard Pohl

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