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Wieder Mensch sein

Strafstunden und Neuanfänge im Bischofswerdaer Pfarrgarten

Bischofswerda. Jesus Christus hat sich nicht in erster Linie um Menschen mit makelloser Biografie gekümmert. Aus dieser Erkenntnis heraus schafft Pfarrer Christoph Behrens bereits seit einigen Jahren Arbeitsgelegenheiten für Männer, deren Lebensgeschichten nicht geradlinig verlaufen.

Bis zu den Wurzeln: Ronny H., Wolfgang S. und Michael A. beseitigen im Pfarrgarten Bischofswerda Überreste der vom Orkan Kyrill umgeknickten Bäume.

Männer wie Wolfgang S. (56). Irgendwann konnte der gelernte Zimmermann seinen Beruf nicht mehr ausüben, weil die Wirbelsäule kaputt war. Die Arbeit war bis dahin für den alleinstehenden Mann der wichtigste Lebensinhalt gewesen. Einen dauerhaften neuen Job fand er in den Nachwendejahren nicht. Er wurde alkohol- und schließlich medikamentenabhängig. Vor sechs Jahren las er im Amtsblatt, dass in der katholischen St.-Benno-Gemeinde Arbeitskräfte gesucht werden. Nach einem Gespräch mit Pfarrer Christoph Behrens legte er los, gemeinsam mit einigen zumeist jüngeren Männern, die vom Gericht zu Strafstunden verurteilt worden waren. Das große parkähnliche Grundstück der Bischofswerdaer Katholiken ist für sie ein nahezu unerschöpfliches Betätigungsfeld. Wolfgang S. tat es gut, endlich wieder eine Aufgabe zu haben. "Das war es aber nicht allein, sondern auch das allerbeste Klima hier, die freundlichen Menschen ..." Dass er nach einer Entgiftung vor zwei Jahren einen Neuanfang schaffte und seither trocken ist, schreibt er diesem Klima zu, in dem er sich angenommen fühlte. "Ich bin hier wieder zum Menschen geworden. Ich wüsste keine andere Stelle, an der so etwas möglich wäre."

"Er ist hier richtig aufgeblüht", sagt Christine Fischer über das dienstälteste Mitglied des Arbeitsteams. Die ehrenamtliche Pfarrhaushälterin ist für die Männer aus dem Team wie eine zweite Mutter. Sie genießen besonders die Frühstückspausen mit ihrem selbstgebackenen Kuchen, bei denen sie über Gott und die Welt ins Gespräch kommen. "Eigentlich bin ich ja nicht gläubig, aber allmählich glaube ich vielleicht doch an Gott", erzählt Wolfgang S. an diesem Morgen. Er sei dem Tod von der Schippe gesprungen und fühle sich im Pfarrgarten nun ein bisschen "wie im Garten Eden". Vor seiner Entgiftung konnte er kaum mehr sprechen. "Es ist ein Wunder, dass er all das so geschafft hat", findet Pfarrer Behrens.

Michael A. (28) gehört zu den jungen Männern, die auf dem Pfarrgrundstück Strafstunden ableisten. Jahrelang hat er seinen Aggressionen freien Lauf gelassen, besonders nach dem Tod seines Vaters. "Dass er sich totgesoffen hat, bevor ich mit meiner Ausbildung fertig war, nehme ich ihm bis heute übel", erzählt er. Trotz seiner hohen Intelligenz hat er es bis heute nicht geschafft, seinen Abschluss nachzuholen. Er findet es selbst bemerkenswert, dass er bereits seit mehreren Wochen am Stück in der St.-Benno-Gemeinde arbeitet. "Wir tun hier etwas Sinnvolles, und niemand macht mir kleinliche Vorschriften, wie ich die Arbeit zu erledigen habe. Hier macht sogar Wurzeln freilegen direkt Spaß", sagt er mit einem Grinsen auf den Lippen.

Gegenwärtig rückt das Team den Überresten der Bäume zu Leibe, die der Orkan Kyrill vergangenes Jahr abgeknickt hat. Zuvor stand die Erweiterung des Abwassersystems auf der Tagesordnung. Dass dabei auch der Pfarrer hin und wieder selbst mit Hand anlegt, macht ihn in den Augen von Michael A. besonders glaubwürdig. Kirchenstrukturen und den Papst mag er nicht, vor allem "wegen dieser Pillen-Enzyklika", aber mit der St.-Benno-Gemeinde habe das ja so gut wie nichts zu tun, erzählt er am Frühstückstisch. Er denke darüber nach, dass er seine Kinder gerne in einen kirchlichen Kindergarten schicken würde. Das zweite ist gerade unterwegs. "Da wird es langsam Zeit, erwachsen zu werden", sagt er nachdenklich. Eine weitere Begegnung mit der Justiz möchte er allein schon wegen der Familie unbedingt vermeiden.

Ronny H. (32) hat seine 900 Strafstunden hinter sich gebracht. Pfarrer Behrens würde ihm gerne helfen, eine berufliche Zukunft zu finden, doch gegenwärtig weiß der schweigsame junge Mann selbst nicht, was er möchte. Thomas S. ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Der alkoholkranke Russlanddeutsche hat gerade einen Hänger. Er müsse bei der Arbeit erst das richtige Maß finden, glaubt der Pfarrer. Er hat Geduld mit seinen Arbeitskräften und weiß, dass mancher mehrere Anläufe braucht, um wieder Tritt zu fassen und "seines Menschseins wieder froh zu werden".

Schlechte Erfahrungen hat er bisher nur einmal gemacht, mit einem Straffälligen, der ihn über seine kriminelle Vergangenheit getäuscht hat. Die Bereitschaft, offen über sein Leben zu sprechen, sei Voraussetzung dafür, in der St.-Benno-Gemeinde mitzuarbeiten. "Die Menschen sollen hier die Erfahrung machen, dass keiner besser ist als der andere", wünscht sich Christoph Behrens und nimmt sich selbst dabei nicht aus. "Wer kann seiner selbst jemals sicher sein? Auch ich kann nur versuchen, einigermaßen gerade meinen Weg zu gehen."

Von seiner Gemeinde erhofft er sich, dass das, was auf dem Pfarrgrundstück geschieht, künftig noch mehr registriert wird - und meint damit nicht allein die beseitigten Orkanfolgen und den Abwasserschacht.

Von Dorothee Wanzek

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