Wenn die Kirche nicht mehr gebraucht wird ...
Experten berieten in Weimar über die erweiterte Nutzung von Gotteshäusern
In Deutschland gibt es rund 46 000 evangelische und katholische Kirchen. Ein Teil davon ist durch bauliche Schäden oder infolge des Mitgliederrückgangs in ihrem Bestand gefährdet. In der evangelischen Kirche sind von 21 000 Kirchen zurzeit 113 geschlossen, 33 werden vollständig und 43 teilweise anders genutzt, 30 Kirchen wurden in den letzten 15 Jahren abgerissen. Die katholische Kirche rechnet damit, dass in den kommenden Jahren etwa 700 Gotteshäusern nicht mehr für Gottesdienste gebraucht werden. Das sind rund drei Prozent.
Die Zahlen klingen eigentlich gar nicht so dramatisch. Aber: Jeder Einzelfall stellt die Verantwortlichen vor erhebliche Probleme. Und in einigen Regionen kommt es zu einer Ballung solcher problematischen Einzelfälle. So gibt es in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands zwar in jedem Dorf eine evangelische Kirche, aber oft kaum noch Christen. Für die Katholiken in dieser Region stellt sich die Frage dagegen kaum. Zwar mussten auch hier in den letzten Jahren Gottesdiensträume aufgegeben werden. Bis auf Einzelfälle handelte es sich dabei aber nicht um richtige Kirchen, sondern zu DDR-Zeiten entstandene Provisorien, beispielsweise in angemieteten Räumen. Für manches katholische Bistum im Westen sieht es wieder anderes aus: Allein Hildesheim will 80 Kirchen profanieren und für weitere 80 Kirchen soll es keine Gelder vom Bistum mehr geben.
Was macht eine Kirchenschließung, vielleicht sogar einen Abriss so problematisch? Eine Kirche ist nicht irgendein Gebäude. Michael Sußmann, der Leiter Referat Bau der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen verdeutlicht das: "Was bleibt, wenn man eine Kirche oder ein Rathaus abreißt? Eine Ansammlung von Wohnhäusern, verbunden durch eine Kanalisation."
Die 250 Teilnehmer einer Tagung an der Bauhaus-Universität in Weimar sind noch einen Schritt weiter gegangen: Sie haben sich nicht nur gegen den Abriss von Kirchen ausgesprochen, sondern auch gegen eine Umwidmung zu säkularen Veranstaltungsorten. In einem "Weimarer Votum" plädierten sie stattdessen für eine "erweiterte Nutzung", die den sakralen Ort erhält und den Kirchenraum zugleich für Kommunen oder Vereine nutzbar macht.
Die "erweiterte Nutzung" habe sich während der Tagung als "Modell mit Zukunft" erwiesen, sagte der evangelische Pfarrer Manfred Keller, der die Tagung mitorganisiert hat. Zugleich sei deutlich geworden, dass dieses Modell nicht nur als architektonische Gestaltungsaufgabe verstanden werde, sondern auch als "Herausforderung zu sozialer Fantasie".
Eine "erweiterte Nutzung" von Kirchen habe eine lange Tradition, betonte Pfarrer Keller und nannte aus der Geschichte als Beispiele Kirchen, die auch der Armenfürsorge oder als Herberge für Pilger dienten. "Kirchen waren Tresore für Urkunden und Archive, Austragungsorte von Streitgesprächen und Rednerwettkämpfen, Orte für Musik- und Theatervorstellungen." Allerdings gebe es keine allgemeingültigen Konzepten für eine "erweiterte Nutzung". Sie müsse in jedem Einzelfall den Wert der Kirche für die Gemeinde ebenso berücksichtigen wie ihre Bedeutung für die Bürgerschaft. "Die Zukunft der Kirchengebäude in Deutschland ist nicht mehr allein ein Liegenschaftsproblem der Kirchen, sondern ein Thema von breiter gesellschaftlicher Relevanz", betonte in diesem Zusammenhang deshalb auch der Staatssekretär im Bundesbauministerium, Engelbert Lütke Daldrup.
Kritik gab es bei der Tagung am unterschiedlichen Umgang der beiden großen Kirchen mit ihren nicht mehr benötigten Gotteshäusern. Der Direktor des Instituts für Kirchenbau an der Uni Marburg, Thomas Erne, sprach in dieser Hinsicht von einem katholischen "Pragmatismus". Hier werde mit aufgegebenen Kirchen oft rigide umgegangen.
Auf ein Hoffnungszeichen für bedrohte Kirchen wiesen die Experten in Weimar gleich mehrfach hin: In den letzten Jahren haben sich vor allem im Osten Deutschlands zahlreiche Fördervereine für den Erhalt von Dorfkirchen gegründet. Mit solchem Engagement könne es Kirchengemeinden gelingen, ihre Gebäude trotz der gegannten Problemen zu erhalten.
Von Matthias Holluba