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Ökumene mit Nichtchristen

Dessau: Erfurter Philosoph Tiefensee sprach über christliche Glaubenspraxis in areligiöser Umgebung

Dessau. Für einen regen Austausch und ein gemeinsames gesellschaftliches Engagement von Christen und Menschen ohne Konfession hat sich der Philosoph Eberhard Tiefensee in Dessau ausgesprochen. Der Erfurter Professor und Seelsorger tritt schon seit längerem für eine "Ökumene der dritten Art ein, wie er es nennt.
"Ich sehe die weithin areligiöse Umwelt in unseren Breiten als Chance", so der Professor von der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt vor 75 Zuhörern einer Akademieveranstaltung in Dessau. Als eher von Kirche "Unberührte statt Entfremdete" stelle er bei den vielen Menschen ohne Religion hierzulande "vorsichtige Neugier statt Agressivität" fest. Für die Christen müsse dies heißen, sich auf die eigene Kernkompetenz zu besinnen und das Miteinander mit den Mitmenschen, die keiner Konfession angehören, zu suchen.

Für eine Zusammenarbeit gebe es viele Möglichkeiten im Bereich der sozialen, kulturellen (Beispiel: Schulen) und gesellschaftspolitischen Diakonie. Verschiedenenorts würden bereits Kontakte zwischen Christen und Konfessionslosen gepflegt. Tiefensee nannte in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Volkshochschule in Leipzig, Kontakte im Hochschulbereich oder Schulgottesdienste mit einer hohen Zahl konfessionsloser Schüler in verschiedenen Städten der neuen Bundesländer. Aber auch das private Miteinander auf Augenhöhe etwa unter Nachbarn oder Kollegen sei eine Möglichkeit, die "Ökumene der dritten Art" zu pflegen, sich gegenseitig kennenzulernen und "Respekt vor der Andersheit des Anderen" zu gewinnen. Alle diese Formen des Miteinanders böten Gelegenheit, christliche Sichtweisen und Impulse anzubieten, aber auch sich selbst zu verändern. Voraussetzung dafür sei, antwortfähig auf Fragen zu sein wie: Wie geht eigentlich Beten? Oder: Woher weißt du, dass es Gott gibt?

Als katholische Christen eine kleine MInderheit

In für ihn bekannter, ungeschönter Deutlichkeit stellte Tiefensee seinen Zuhörern die Situation der Kirchen hierzulande vor Augen: Nach einer Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind in den neuen Bundesländern 5,9 Prozent der Menschen katholisch, 21,5 Prozent evangelisch, aber 72,6 Prozent areligiös. Bislang sei aber auch die erhebliche und steigende Zahl von Menschen ohne Konfession in den alten Bundesländern von den Soziolgen nicht oder nur kaum wahrgenommen worden.

Der Erwartung und Rede von einer derzeitigen Wiederkehr der Religion erteilte Tiefensee eine Absage. So gehörten etwa in Nordrhein- Westfalen gerademal 0,15 Prozent der Bevölkerung einer der neuen (zum Beispiel Jugend- ) Religionen an.

Der Philosoph machte deutlich, dass areligiöse Menschen sich selbst nicht als areligiös sehen, sondern "die Gottefrage nicht verstehen". "Sie haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben." Auch ohne Gott lässt es sich gut leben, dies sei inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, so Tiefensee. Zudem sei bei areligiösen Menschen kein außergewöhnlicher Verfall der Wertvorstellungen feststellbar. Und der Satz: "Not lehrt beten." gelte nur für die, die schon vor der Not Beten gelernt haben. Beten werde von Areligiösen als Krisenerscheinung eingestuft.

Tiefensee machte deutlich, dass die Zahl der Menschen ohne Konfession vor allem in Tschechien und dem Gebiet der DDR sehr groß ist. Dafür allein die Zeit der marxistisch-leninistischen Ideologie verantwortlich zu machen, greife zeitlich zu kurz, zumal etwa Polen oder Rumänien über diese Zeit hinweg durchaus christlich geblieben sind. Ein langfristiger Erklärungsversuch, so Tiefensee, verweise darauf, dass sich bei den Menschen in den Gebieten, in denen im Mittelalter von der Obrigkeit missioniert wurde, der Glaube nicht wirklich tief verankert habe. Tiefensee: "Wenn Staat und Kirche zusammengehen, wird es für den Glauben gefährlich."

Eine mittelfristige Erklärung, so der Philosoph weiter, verweise darauf, dass es in Deutschland erst verspätet im 19. Jahrhundert zur Modernisierung gekommen sei: Menschen brachen zu Tausenden aus den ländlichen Gegenden in die Städte auf. Doch die Kirchen waren nicht imstande, viele von ihnen dort in Gemeinden zu integrieren. So sei am Ende des 19. Jahrhunderts der Pfarrer der evangelischen Zionskirche in Berlin für 23 000 Christen zuständig gewesen! Stattdessen schlossen sich viele Menschen der sozialistischen Arbeiterbewegung an. Später sei dann auch der Untergang des deutschen Kaiserreiches ein Fiasko für die evangelische Kirche gewesen. Und auch die Zusammenbrüche von 1945 und 1989 hätten zu Identitätskrisen geführt, was die nichtkonfessionelle Mehrheit in Ostdeutschland um ihrer Identität willen an ihrer Nichtreligiosität festhalten lasse, so Tiefensee. Linke Kräfte wie der Humanistische Verband täten heute ihr Übriges und wollten die atheistische Prägung der Menschen hierzulande etwa mittels der Jugendweihe "mit aller Gewalt sichern".

Entlastung im missionarischen Einsatz

"Wenn man sich klarmacht, dass die Ursachen für die große Zahl der Nichtreligiösen in unseren Breiten möglicherweise bis ins Mittelalter zurückreichen, bewahrt dies vor einer Überforderung und entlastet hinsichtlich missionarischer Anstrengungen", so Tiefensee, der auch Priester des Bistums Dresden-Meißen ist.

Mehr dazu: http://2006.die-pastorale. de/artikel/3119.htm

Von Eckhard Pohl

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