Zwillinge
Über Glaube und Zweifel
Glaube dun Zweifel sind wie Zwillinge. Sie gehören zusammen. Und der Glaubende muss nicht verzweifeln, wenn ihn einmal Zweifel plagen, meint P. Bernhard Kohl (Geistlicher Beirat)
Vor ein paar Jahren waren wir mit den Studenten unserer Ordensprovinz in Spanien.Dort besuchten wir im Norden des Landes die Benediktinerabtei Santo Domingo de Silos und wurden von einem Pater mit den Worten begrüßt, dass wir Dominikaner alle dem heiligen Thomas ähnelten. Wie schmeichelhaft! Denn welcher Dominikaner möchte nicht dem großen Heiligen des Ordens, dem heiligen Thomas von Aquin ähnlich sein. Dann setzte der Benediktinerpater allerdings eine Pointe auf seine Begrüßung: "Nein, ich meine nicht Thomas von Aquin - sondern den ungläubigen, den aus der Bibel!"
Warum der Benediktiner diesen Vergleich gezogen hat, ist eine Frage der Theologiegeschichte. Warum dieser Vergleich anstößt, das ist eine Frage des Glaubens - oder eine Frage des Zweifels? Der Apostel Thomas zweifelt an der Aussage seiner Mitjünger: "Wir haben den Herrn gesehen." Er argumentiert nicht dagegen, stellt sich nicht quer. Er zweifelt schlichtweg daran.
Glaube und Zweifel. Glaube und Glaubenszweifel - wie verhalten sich eigentlich diese Zwillinge zueinander? Zunächst einmal scheinen Glaube und Zweifel sich auf ganzer Linie auszuschließen. Aber gleichzeitig gilt: Wer sich gegen den Zweifel unempfindlich macht, verzichtet offenkundig auf eine Begründung seines Glaubens, die von der Vernunft ernst genommen werden könnte. Und dann glaubt er nur als halber Mensch - denn die Vernunft gehört nun einmal zum Menschen.
Ein Ausschluss des Zweifels kann also kein gangbarer christlicher Weg sein. Außerdem hat der Zweifel im Glaubensleben ja auch durchaus seine positiven Qualitäten: Der Zweifel kann enttäuschen, er kann desillusionieren. Er muss uns unsere Illusionen sogar nehmen, um uns von Selbsttäuschungen und Selbstzufriedenheit im Glauben zu befreien. Der Zweifel ist kein Feind des Glaubens, sondern ganz im Gegenteil: Er ist sein Zwilling und Schutz.
- Der Zweifel schützt davor, Geltungsansprüchen, Heilsversprechungen zu schnell und leichtfertig Glauben zu schenken.
- Er schützt davor, schlechte Argumente mit guten zu verwechseln.
- Er schützt vor Großmäuligkeit, weil er weiß: Dahinter hat jemand etwas zu verbergen.
- Der Zweifel ist in seinem Element, wenn der Glaube durch geistige Dünnbrettbohrerei am Leben gehalten wird.
Es besteht also kein Grund als Glaubender am Zweifel zu verzweifeln. Vielmehr darf ich ihn als Bundesgenossen willkommen heißen - natürlich ohne ihm das Feld zu überlassen. Der Zweifel erinnert uns, womit wir eigentlich hantieren, wenn wir vom Glauben sprechen: mit Gott. Er erinnert uns, dass vor diesem Hintergrund unsere Worte, unsere Gedanken und unsere Gewissheiten schnell eine Nummer zu groß werden - oder zu klein.
Vor diesem Hintergrund kann ich die Worte des Benediktiners nur als Kompliment für jeden glaubenden Menschen verstehen.
P. Bernhard Kohl, Leipzig, Geistlicher Beirat