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Damit der Glaube nicht erlischt

Gespräch mit Professor Michael Gabel zum Uni-Forschungsprojekt Migration Minderheit Mission

Erfurt. Die katholischen Christen in den neuen Bundesländern sind mit rund fünf Prozent der Bevölkerung eine Minderheit in der Gesellschaft. Von ihrer Herkunft sind viele Katholiken der älteren Generation Migranten aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Aber auch in der Gegenwart sind die Gemeinden von Migrationsbewegungen geprägt. Im Blick auf die Aspekte Minderheit, Migration und Mission widmet sich die Katholisch-Theologische Fakultät Erfurt dem gegenwärtigen Katholizismus in Ost- und Mitteldeutschland mit einem Forschungsprojekt. Eckhard Pohl sprach mit dem Erfurter Fundamentaltheologen und Seelsorger Michael Gabel.

Professor Michael Gabel

Herr Professor Gabel, welche Schlüsse lassen sich aus der Minderheitensituation und der starken Prägung der hiesigen Gemeinden durch Migration für eine missionarische Glaubenspraxis ziehen?

Lassen Sie mich zunächst von meiner Erfahrung als Seelsorger der kleinen thüringischen Gemeinde Ichtershausen sprechen: Die meisten Katholiken sind nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertriebene in Ichtershausen gestrandet. Per Notverordnungen wurden sie bei den Einheimischen einquartiert, ohne um das Schicksal ihrer Familien zu wissen. Sie standen vor der Frage, wie es weitergeht. Ihre Antwort war der Bau einer Notkirche, die im Oktober 1949 geweiht wurde. Inmitten der protestantisch geprägten Bevölkerung gaben sie als kleine Minderheit mit der Kirche öffentlich Antwort: Es geht weiter, auch wenn wir nicht wissen, wie. Das war ein vom Glauben getragenes missionarisches Zeugnis, das auch die Einheimischen beeindruckte. Jahrzehnte später noch erzählen alte Ichtershäuser von den Katholiken, sie hätten zuerst eine Kirche und erst später eigene Unterkünfte gebaut. Was heißt das für heute? Heute sind viele vergleichbare Gemeinden wieder in einer schwierigen Situation. Ihnen fehlen Mitglieder. Priester leben nicht mehr vor Ort. Die Gemendestrukturen werden von den Bistümern verändert. Auch wenn Katholiken aus den alten Bundesländern zugezogen sind und die Gemeinden bereichern, ziehen vor allem viele junge Christen weg. Damit stellt sich die Frage nach der Zukunft der Gemeinden mit Wucht. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Zukunftshoffnung gründet nicht mehr selbstverständlich in der gläubigen Zuversicht, wie sie in Krieg und Hunger gewachsen war. Heute sorgen wir uns darum, dass die missionarische Zuversicht nicht ganz erlischt.

Wie kann das gelingen?

Zunächst muss man fragen: Ist die schwierige Lage nur Schicksal, oder will Gott uns etwas durch sie und in ihr sagen? Um darauf Antwort zu finden, gilt es, die Lage genau in den Blick zu nehmen. Dies ist Anliegen unseres Forschungsschwerpunktes an der Universität. Migration, Minderheit und Mission prägen das Leben der meisten hiesigen katholischen Gemeinden nachdrücklich. Alle drei Aspekte haben einen inneren, sich gegenseitig beeinflussenden Zusammenhang: Der Glaube ist in geschichtliche Migrationsprozesse eingebunden. Glaube ist hierzulande in der Minderheit zu leben. Und er ist gerade auch deshalb missionarisch zu bezeugen. Dabei wird er sich selbst, aber auch seine Umwelt verändern.

Inwiefern?

Etwa im Blick auf den Umgang mit der anderen Konfession. Evangelische und katholische Christen verstehen sich zunehmend nicht als Konkurrenten, sondern Verbündete. Um solche und ähnliche Veränderungen im sozialen und kulturellen Miteinander zu erfassen, hat sich im Rahmen des Interdisziplinären Forums Religion, in dem die Katholisch-Theologische Fakultät mit anderen Wissenschaften der Uni Erfurt zusammenarbeitet, das Forschungsprojekt Nachbarschaft herausgebildet. Nachbarschaft erlaubt ein Miteinander, doch jeder bleibt beim Eigenen. Der Soziologe Max Weber (1864 - 1920) hat Nachbarschaft als Nothilfegemeinschaft beschrieben. Es ist eine ungeschriebene Regel, mit den Nachbarn ein gutes Verhältnis zu pflegen, weil man sich braucht. Die Christen können Nachbarn sein.

Sie sagten eben: Der katholische Glaube wird sich selbst, aber auch seine Umwelt verändern ...

Je mehr in der DDR Katholiken und auch Protestanten zur Minderheit gegenüber Glaubenslosen wurden, entdeckten beide Kirchen den Wert der Zusammenarbeit. Ein wichtiger Grund war: Nicht mehr nur die Katholiken, sondern auch die Protestanten waren plötzlich Fremde im Land. Ich erlebe allerdings auch, dass in dieser geistigen Fremde die Katholiken noch einmal anders fremd sind. Ich mache die Erfahrung, dass die katholische Kirche den glaubenslosen Menschen fremder ist als die evangelische. Das gilt besonders im ländlichen Raum, lässt sich aber auch in den Städten zeigen. Das muss freilich noch genauer erforscht werden.

Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die evangelischen Christen deshalb missionarisch erfolgreicher wirken können?

Seit in manchen Dörfern Thüringens junge evangelische Pfarrer engagiert für den Glauben eintreten, ist dort wieder religiöses Leben entstanden, haben sich junge Menschen taufen lassen. Auch katholischerseits haben wir seit einiger Zeit Jahr für Jahr Jugendliche und Erwachsene, die sich taufen lassen. Dennoch vermute ich, dass die katholische Kirche in diesem Landstrich zahlenmäßig missionarisch weniger erfolgreich sein wird als die evangelische Kirche. Wo wir als katholische Kirche Stellen aufgeben müssen, wird oft das katholische Glaubensleben erlöschen. Stärker als die evangelische Kirche sind wir Minderheit. Zudem gibt es unter den Konfessionslosen ein kulturelles Langzeitgedächtnis, das an die evangelischen Kirche erinnert. Zu unserem Realismus gehört aber auch die Hoffnung, dass evangelischen Mitchristen dort den Glauben lebendig halten können. Und darüber sollten wir froh sein. Dort wo es uns möglich ist, sollten wir mutig auf unsere Art den Glauben bezeugenm

Wie lässt sich die Freude darüber mit dem Kirchenverständnis vereinbaren, das Papst Benedikt XVI. wiederholt bekräftigt hat, wonach die evangelischen Christen nur Anteil am Kirchesein der katholischen Kirche haben?

Erstes Ziel ist es, dass Menschen Gott finden. Wir sollten uns als Christen auf das Zentrum unserer Botschaft und unseres Auftrages konzentrieren, Christus zu verkündigen. Dabei werden wir entdecken, dass die Grenzen zwischen den Konfessionen angrenzenden und nicht abgrenzenden Charakter haben. Wenn also Menschen wirklich zu Gott finden, und wenn ihnen dies in der evangelischen Kirche zuteil wird, freue ich mich für ihr Glück auch als Katholik. In der Perspektive einer gelingenden Umkehr und Begegnung mit der lebendigen Person Christi kann jede Kirche den Missionserfolg der anderen Kirche gelassen anerkennen. Wer zu Christus findet, findet zu seiner Kirche. Missionarisches Ziel ist es darüber hinaus, bei den Menschen dieser Gesellschaft zu sein. Das aber heißt, als katholische Kirche das Leben inmitten der ostdeutschen Gesellschaft unbeirrt fortzusetzen. Denn die Kirche hat dort zu sein, wo ihr Haupt als "Lumen gentium" (Licht der Völker), wie es im Konzil heißt, immer schon ist: bei den Menschen. Tatsächlich erweist sich in der ambivalenten Prägung zwischen Bleiben und Gehen die Sendung der katholischen Kirche im Osten Deutschlands.

Vortrag zum Thema: www.bistum- erfurt.de/seiten/1963.htm



Veranstaltungen

Mission: Konzepte und Praxis der katholischen Kirche

Die Katholisch-Theologische Fakultät Erfurt bietet im Sommersemester 2008 zum Forschungsschwerpunkt "Katholizismus im öffentlichen Raum der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung Ost- und Mitteldeutschlands" eine Ringvorlesung an. Folgende Veranstaltungen sind geplant:

17. April:
Josef Freitag: Mission als Evangelisierung in der neuen Situation des religiösen Pluralismus. Zur Entwicklung und Kontextveränderung des katholischen Missionsverständnisses seit dem Vatikanum II

24. April:
Claus-Peter März: Neutestamentliche Missionsmodelle als Frage an das gegenwärtige Bemühen um Neuevangelisierung und Mission

8. Mai:
Johan Leemans: Mission ohne Missionierung. Über die Ausbreitung des Christentums in der Spätantike und seine aktuelle Relevanz

15. Mai:
Josef Römelt: Begegnung mit dem Anderen. Partikularität und Universalität moralischer Bewusstseinsgeschichte in der christlichen Mission

22. Mai: Josef Pilvousek: Festvortrag anlässlich des Fronleichnamsfestes

29. Mai: Benedikt Kranemann: Liturgie - mit missionarischer Dimension?

2. Juni:
(Montag!) Arnd Bünker (Missionswissenschaftler aus Münster): Zwischen Scham und Charme. Theologische Vergewisserungen über Mission im weltkirchlichen Gespräch

5. Juni: Johannes Meier (Mainz): "Conquista und Mission. Die Christianisierung Lateinamerikas"

12. Juni: Myriam Wijlens: "Geh und verkünde den Glauben!" Missionstätigkeit und kirchliche Rechtsnormen

19. Juni: Eberhard Tiefensee: Die Frage nach dem homo areligiosus als interdisziplinäre Herausforderung (wahrscheinlich in Kiliani)

26. Juni:
Maria Widl: Missionsland Deutschland. Ein Vergleich der Situation in Ost und West aus der Sicht der Pastoraltheologie

3. Juli:
Michael Gabel: "Mit euch suchend, unter euch glaubend." Was missionarisches Christsein mit nichtgläubigen Zeitgenossen verbindet

10. Juli: Jürgen Manemann:Abschließende Podiumsdiskussion zum Thema

Alle Vorlesungen finden jeweils von 19 bis 21 Uhr im Hörsaal Coelicum der Fakultät, Domstraße 10, statt. Mehr Infos: www. uni-erfurt.de/theol/

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