"Spione und Westagenten
"Zwischen Gehen und Bleiben: Judenverfolgung in den ersten Jahren der DDR
Berlin. Dass es Christen mit dem DDR-Staat nicht leicht hatten, ist bekannt. Dass auch Juden besonders in den 1950er Jahren massiven Verfolgungen ausgesetzt waren, darüber informiert jetzt eine Ausstellung in Berlin.
Sie hatten ihre Familien in den Vernichtungslagern verloren. Sie selbst waren oft nur knapp dem Tod entronnen. Ihr Eigentum hatten die Nazis ihnen genommen. Dennoch: Nach dem Ende des Zweiten Welktkrieges kehren einige wenige tausend Juden nach Deutschland zurück. Sie beginnen mit dem Neuaufbau von Gemeinden und versorgen ihre Hilfe bedürftigen Glaubensgenossen. Letzteres war insbesondere in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der jungen DDR nötig, weil Juden eine deutlich geringere soziale Unterstützung erhielten als kommunistische NSOpfer, denn - so hieß es: Juden seien nur Opfer gewesen, Kommunisten aber waren Kämpfer. Viele Juden, die in der SBZ und später in der DDR blieben, engagieren sich im entstehenden sozialistischen Staat. So gehören etwa in Dresden von den 162 Gemeindemitgliedern 98 zur SED. Im Zuge des Kalten Krieges und der stalinistischen Säuberungen im Ostblock werden sie dennoch Opfer neuer Anfeindungen.1947 kehrt Leo Zuckermann aus Mexiko zurück. Hierhin war der Jurist, der zuerst der SPD und seit 1928 der KPD angehörte, emigriert. Seine Kontakte zu wichtigen deutschen Kommunisten während der Emigration führen dazu, dass Zuckermann in der jungen DDR eine steile politische Karriere macht. 1949 wird er Chef der Präsidialkanzlei von Wilhelm Pieck und damit einer der engsten Mitarbeiter des DDR-Präsidenten. Die Karriere findet bereits 1951 ein jähes Ende. Zuckermann muss das SED-Politbüro um seine Entlassung bitten - wegen Fehlern, die er gemacht habe. Als ausdrückliches Beispiel dafür nennt er seine Mitgliedschaft in der Berliner Jüdischen Gemeinde. Das vertrage sich nicht mit seinem hohen politischen Amt. Zuckermann wird auf niedrigere Posten abgeschoben, später sogar als "zionistischer Agent" bezeichnet. Weiteren Repressalien entzieht er sich durch eine erneute Flucht, die ihn schließlich wieder nach Mexiko führt.
Zum Verhängnis geworden war Zuckermann unter anderem der Kontakt zu einem Kommunisten, den er in Mexiko kennengelernt hatte und der für seine Karriere mitverantwortlich gewesen ist: Paul Merker. Merker, selbst kein Jude, gehörte ab 1946 zum Zentralsekretariat der SED und war an dieser bedeutenden Stelle das einzige Parteimitglied, das das Leid der Juden in der NS-Zeit entsprechend würdigte: Die nationalsozialistische Rassentheorie und der Antisemitismus seien entscheiden für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gewesen, schreibt er in einem Buch. Damit widerspricht Merker aber der offiziellen sowjetischen Lehre, wonach Ziel und Hauptbeweggrund des Nationalsozialismus die Vernichtung der Sowjetunion gewesen sei.
Seiner Überzeugung nach machte Merker sich für die jüdischen Wiedergutmachungsforderungen stark. Auch damit stellte er sich gegen die offizielle DDRDoktrin. Sie setzte nämlich den Verlust jüdischen Eigentums dem Verlust anderer Kriegsgeschädigter und Vertriebener gleich. Auch diese wurden nicht entschädigt, weil das deutsche Volk, dessen wahrer Vertreter nun der DDRStaat war, am Zweiten Weltkrieg unschuldig sei. Schuld waren allein die Nazis. Merker musste sich für seine Haltung 1955 in einem Geheimprozess verantworten. "Man nannte mich den König der Juden", berichtet er über die Anfeindungen. Das Urteil lautete acht Jahren Zuchthaus. Allerdings wurde Merker schon ein Jahr später freigelassen und rehabilitiert.
Dass Juden Opfer des Faschismus waren, stand für die DDR nicht von vornherein fest: Warum - so wurde mancher Holocaust-Überlebende gefragt - habe er die Nazi- Zeit überleben können. Die DDRMachthaber gaben selbst die Antwort: Weil die Juden in den Konzentrationslagern im Gegensatz zu den Kommunisten mit den Nazis zusammengearbeitet hätten.
Dieser Umgang mit den Juden ist keineswegs nur ein Phänomen in der DDR. Es ist eingebettet in die stalinistischen Verbrechen in allen kommunistischen Ostblock- Staaten. Verschärft durch die Gründung des Staates Israel werden Juden in dieser Zeit bezichtigt, als Westagenten oder Spione den sozialistischen Staaten schaden zu wollen. Einen Höhepunkt dabei bildete das Jahr 1952: Was mit Geheimprozessen in Moskau begann und über öffentliche Schauprozesse auch in anderen Ostblock-Ländern führte, gipfelte Ende des Jahres im Beschluss des ZK der KPdSU zur "Säuberung" des medizinischen Bereichs und der Staatssicherheit von Juden. Die in der DDR im Januar 1953 daraufhin einsetzende Pressekampagne hatte zur Folge, dass hunderte Juden das Land erneut verließen. Unter ihnen waren vor allem die Funktionäre der Jüdischen Gemeinden.
Die Ausstellung ist bis 30. Juni sonntags und montags von 10 bis 20 Uhr, dienstags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr und freitags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
Von Matthias Holluba