Kaum ermutigend
Eine Akademieveranstaltung in Dresden: Traditionelle religiöse Inhalte werden heute weitgehend nur noch als "Versatzstücke verwendet
Dresden. Wie sieht die Religion nach ihrem Ende aus? Das war das Thema, zu dem das Kathedralforum in Dresden im Rahmen der Ringvorlesung "Diesseits des Schweigens wie von Gott sprechen? am 6. Mai eingeladen hatte.
Das "postsäkulare Zeitalter" befi ndet sich in einer paradoxen Situation. Einerseits scheint es ein zunehmendes Interesse am Religiösen zu geben, andererseits schreitet die Säkularisierung weiter voran. Das Ergebnis ist eine "Durchmischung von Glaubensinhalten", die die "neuen religiösen Charaktere" bestimmen, sagt Hans Joachim Höhn, Kölner Philosoph und Theologe, der kürzlich im Dresdner Kathedralforum zu Gast war. Diese "Zerstreuung" des Religiösen werde heute von Institutionen und Akteuren wahrgenommen, die "im Allgemeinen kaum als religiös gelten" - von Bereichen des Marketing, des Sports oder der Unterhaltungsindustrie.Höhns Phänomenologie der modernen Religion klingt für traditionsbewusste Ohren kaum ermutigend. Existentielle Fragen verschwinden zwar nicht, die Antworten darauf würden jedoch neu "formatiert" und sich an den "Megatrends" von Individualisierung, Ästhetisierung oder Erlebniskultur orientieren. Die traditionellen religiösen Inhalte würden bestenfalls noch als Versatzstücke benutzt. Dazu gehören nicht nur die "Psychologisierung" religiöser Erfahrungen, sondern auch eine wie immer geartete "religiöse Selbstmedikation", in der sich jeder sein eigenes Gottesbild zurückrechtzimmert.
Für den Bereich des Religiösen scheint zu gelten, was für die Gesellschaft insgesamt gilt: Er ist, negativ ausgedrückt, individualisiert, positiv gesagt, emanzipiert. Religiöse Autoritäten zum Beispiel sind dies nicht mehr aus sich selbst, sondern müssen sich wie alle anderen an der Glaubwürdigkeit der eigenen Existenz messen lassen. Höhn beschreibt nur das Erscheinungsbild einer vermeintlich irreligiösen Situation der Moderne, aber nicht ihre Ursachen, was weitaus interessanter gewesen wäre: Wie glaubwürdig ist der Christ in der modernen Zeit? Warum wenden sich noch immer viele Menschen von der Kirche ab und suchen den Sinn ihres Lebens anderswo? Was hat das Christentum der modernen Zeit überhaupt noch zu sagen? Es reicht nicht mehr aus, eine Ambivalenz postsäkularer Religion zu beschreiben, damit neue Feinbilder an die Wand zu malen und Ereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft - zum wie vielten Male eigentlich? - in die Nähe des Pseudoreligiösen zu rücken. Der Suchende von heute braucht ermutigende Antworten, Persönlichkeiten, die begeistern können und selbst begeistert sind. Höhns Befund war das alles nicht.
Von Andreas Schuppert