Gleichheit wäre ungerecht
Professor Myriam Wijlens über kirchenrechtliche Spielräume für die Ökumene
Das Verhältnis der beiden großen Kirchen in Deutschland erscheint gegenwärtig nicht gerade besonders verheißungsvoll. Wie sehen Sie als Kirchenrechtlerin die Chancen für einen Fortschritt in der Ökumene?
Ich bin geprägt von der ökumenischen Aufbruchstimmung in der Zeit nach dem Konzil. Man freute sich damals daran, dass im Blick auf getaufte Nichtkatholiken nicht mehr von Häretikern und Schismatikern die Rede war und man neigte dazu, das Glas nicht als halb leer, sondern stattdessen lieber als halb voll zu betrachten. Man sah die Gläubigen auch nicht mehr in ihrer individuellen Beziehung zur katholischen Kirche, sondern als Zugehörige einer Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen überrascht sind zu erfahren, dass die geltenden kirchlichen Gesetze für die Ökumene einen viel weiteren Spielraum lassen, als sie bisher angenommen haben, denn sie vermuten nur Verbote, was allerdings nicht so ist.
Wo gibt es solche Überraschungsmomente?
Ich gehörte zu einer Kommission, die zur Trauung des Kronprinzen Willem Alexander der Niederlanden mit der argentinischen Katholikin Maxima im Jahr 2002 beraten hat. Unter anderem hatte ich die Gelegenheit, für die Liveübertragung der Hochzeit kirchenrechtliche Hintergründe zu erklären. Überraschung rief dabei insbesondere die Tatsache hervor, dass die katholische Kirche die Hochzeit erlaubt hat, obwohl das Paar im Vorfeld schon gesagt hatte, dass Kinder, die aus dieser Ehe hervorgehen, evangelisch getauft werden würden.
Grundlage für diese Entscheidung war die Formulierung im Codex iuris canonici von 1983, der katholische Partner müsse "nach Kräften alles dafür tun, dass die Kinder katholisch erzogen werden. Im Ökumenischen Direktorium von 1993 wird dazu ausgeführt, es müsse anerkannt werden, dass sich auch der nichtkatholische Partner aufgrund seines eigenen christlichen Engagements ähnlichen Verpflichtungen gegenübersehen könne. Das bedeutet: die Kirche respektiert durchaus, dass die Lebensumstände eines Paares eine abweichende Entscheidung nahelegen können. Einheit und Bestand der Ehe hat für sie Vorrang. Ich konnte in den Kommentaren unter anderem deutlich machen, welche Bedeutung Gewissensentscheidungen in unserer Kirche haben.
An Beispielen wie diesem wird deutlich, dass sich dem ersten Anschein zum Trotz in den letzten Jahrzehnten in der Ökumene doch eine Menge bewegt hat. Als 1966 eine niederländische Prinzessin einen spanischen Katholiken geheiratet hat, wurde sie neu getauft was im übrigen auch nach damals gültigem Kirchenrecht ein Fehler war.
Erwecken nicht aber solche Prominenten-Fälle leicht den Eindruck, die Kirche messe die Menschen mit unterschiedlichem Maß?
Die Kirche muss Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls nehmen. Im Niederländischen gibt es eine Redensart: gleiche Mönche, gleiche Kutten. Wenn die Säume der Mönchsgemeinschaft alle auf der gleichen Höhe enden sollen, muss jeder Mönch eine für ihn passenden Größe erhalten. Kirchliche Normen sind wichtig, um erworbene Einsichten schützen und gegebenenfalls einfordern zu können. In der Anwendung der Gesetze muss aber Rücksicht genommen werden auf kulturelle Gegebenheiten, auf finanzielle und personelle Ressourcen, auf Lebensumstände und auf den Glauben des Einzelnen. Nichts wäre ungerechter als Gleichbehandlung.
Auch hier ein Beispiel aus der Ökumene: Roger Schutz empfing bei der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. die Eucharistie. Frère Roger hatte sich Jahre zuvor öffentlich zum Sakramentenverständnis der katholischen Kirche bekannt. Er lebte in tiefer spiritueller Verbundenheit mit unserer Kirche. Man muss seine Situation in seiner Eigenart würdigen. Wichtig scheint es mir auch, die richtigen Fragen zu stellen. Wir sollten unsere Fragestellungen aus der Perspektive des Konzils überdenken.
Wie meinen Sie das?
Im Fall von Frère Rogers Eucharistieempfang zu fragen, ob er denn konvertiert und nun Mitglied der katholischen Kirche sei, wäre beispielsweise auf dem Hintergrund des Konzils falsch. So fragten aber viele Katholiken, in deren Köpfen immer noch der Gesetzestext von 1917 haftet: "Es ist verboten, dass evangelische Christen zur Eucharistie zugelassen werden.
Der im Geist des Konzils verfasste Codex hat aber einen ganz anderen Ansatz. Dort steht "... es ist erlaubt unter folgenden Bedingungen: .... Das Konzil entschied, dass die Beziehung der katholischen Kirche zu getauften Nichtkatholiken nicht mehr durch die Kategorie "Mitgliedschaft auszudrücken sei, sondern durch "Zugehörigkeit, mit der Möglichkeit einer abgestuften Intensität. In Übereinstimmung mit diesem Verständnis wurde dann auch nicht mehr von "Konversion gesprochen, sondern von "Aufnahme in die plena communio (volle Gemeinschaft).
Frère Roger war ein Mensch, der in der "plena communio unterwegs war. Die richtige Frage in seinem Fall müsste also lauten: Konnte Frère Roger, der in Gemeinschaft ich sage nicht "volle Gemeinschaft - mit der katholischen Kirche stand und der ein katholisches Verständnis der Eucharistie hatte, die Eucharistie bei der Beerdigung des Papstes empfangen? Es liegt auf der Hand, dass eine solche Fragestellung zu einer anderen Antwort führen wird.
Werden Sie in Ihrer neuen Aufgabe im Ökumenischen Rat der Kirchen auch mit den angesprochenen Themenfeldern konfessionsverschiedene Ehen und eucharistische Gastfreundschaft befasst sein?
Gegenwärtig ist die Kommission eher mit ethischen Fragestellungen beschäftigt. Ebenfalls ein spannendes Feld. Als die Kommission gegründet wurde, war man sich in den damals anstehenden ethischen Fragen beispielsweise zu Scheidung oder Abtreibung weitgehend einig. Dass das nicht mehr so ist, spüren wir in Deutschland unter anderem auf dem Feld der Stammzellenforschung. Es gibt auch Fragen, die kirchliche Gemeinschaften in sich zu spalten drohen. Bei den Anglikanern ist das gegenwärtig angesichts der Frage der Fall, ob homosexuelle verheiratete Männer geweiht werden dürfen.
Wo sehen Sie für die Ökumene in Deutschland gegenwärtig Handlungsbedarf?
Für die Pastoral scheint mir unter anderem ein Nachdenken über die Gestaltung von Beerdigungsfeiern in konfessionsverbindenden Ehen wünschenswert. Das Thema wird zunehmend aktuell. Bis in die 60er Jahre hinein war es weitgehend üblich, dass bei diesen Ehen ein Partner vor der Eheschließung konvertierte. Mit Beginn der 70er Jahre war das kaum noch üblich. Es gilt hier, den Blick für die veränderte Situation zu schärfen und die Seelsorge und Liturgie so zu gestalten, dass Menschen sich in ihr wiederfinden. Das ist in erster Linie kein kirchenrechtliches, sondern ein seelsorgliches Problem. Unter anderem gilt es aber auch hier, die Spielräume des Kirchenrechtes für den Empfang der Eucharistie auszuloten.
Und auch hier wird deutlich, wie wichtig eine differenzierte Betrachtung im Einzelfall ist. Ein Lutheraner beispielsweise bittet während der Beerdigungsmesse für seine Frau, die katholisch war, und mit der er in Liebe und Treue eine sakramentale Ehe geführt hat, nun zusammen mit seinen katholisch getauften Kindern zur Kommunion zugelassen zu werden. Man kann dieser Situation nicht in gleicher Weise begegnen wie der eines alleinstehenden Lutheraners, der während des Weihnachtsmarktes spontan zur Eucharistiefeier in den Dom geht und dort nun, weil er das Bedürfnis danach hat, die Kommunion empfangen möchte.
Fragen: Dorothee Wanzek
Professor Myriam Wijlens ist Hauptreferentin einer ökumenischen Werkstatt-Tagung unter dem Motto "Ökumene lernen am 31. Mai von 9 bis 16 Uhr im Bischof-Benno-Haus Schmochtitz. Anmeldung unter Telefon 03 59 35/2 20.