Sendlers Liste
Irena Sendler rettete 2500 Kindern aus dem Warschauer Ghetto das Leben
Als die Nazis 1940 das Warschauer Ghetto errichteten, pferchten sie 400 000 Menschen innerhalb einer drei Meter hohen Mauer ein.
Die Lebensbedingungen dort waren unvorstellbar: Es fehlte an allem. Hunger, Tod und Krankheiten herrschten. Unter dem Vorwand Seuchen zu bekämpfen, besorgten sich die 20-jährige Krankenschwester Irena Sendler und ihre Kolleginnen Passierscheine und halfen, wo sie konnten. Sie fassten den Entschluss, wenigstens Kinder aus dieser Hölle zu retten. Sie gingen zu den Familien und boten an, Kinder aus dem Ghetto herauszuschmuggeln. Fürchterliche Szenen hätten sich daraufhin abgespielt: "In einigen Fällen hätte der Vater zugestimmt, aber die Mutter und Großmutter hätten sich weinend an das Kind geklammert und geschrien. Als sie später noch einmal zu den Familien wollten, waren diese nicht selten schon nach Auschwitz deportiert. Doch es gab auch Eltern, die in dieser hoffnungslosen Situation ihre Kinder Irena Sendler anvertrauten.
Rund 2500 Kinder konnte sie retten, versteckt in Krankenwagen, durch die Kanalisation, mit Schlafmitteln betäubt und in Säcken, Koffern oder Werkzeugtaschen aus dem Ghetto getragen. Als Seuchensanitäterin wurde Irena Sendler nicht genau kontrolliert, und wenn ein Kind entdeckt wurde, gab sie an, die Kleinen seien tot oder schwerstkrank und ansteckend. Die geretten Kinder wurden in polnischen Familien, Klöstern und Waisenhäusern versteckt. Unter einem Apfelbaum vergrub sie die Namenslisten, damit die Kinder später wenigsten ihren richtigen Namen wussten. 1943 wurde Sendler verraten, verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt. Sie verriet nichts. Einer waghalsigen Rettungsaktion verdankt sie ihr Leben.
Ihre Geschichte wurde fast vergessen, bis eine amerikanische Schulklasse vor ein paar Jahren zufällig darauf stieß. Ein Theaterstück entstand, sie bekam die höchste Auszeichnung Polens, wurde sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Auf einmal gaben sich Rundfunk- und Fernsehsender in ihrem Warschauer Altersheim die Klinke in die Hand.
Irena Sendler war das eher unangehm, sie wollte nichts Besonderes an ihrem Tun entdecken. Die fast 100-Jährige sagte damals: "Die wahren Helden waren die Eltern, die sich von ihren Kindern trennten. Allein hätte ich die Kinder niemals retten können. Die Rettung der jüdischen Kinder war meine Pflicht und keine Heldentat. Wenn sich damals deutsche Kinder in einer solchen Situation befänden, hätte ich ihnen auch geholfen.
Irena Sendler gehört zu den großen Heldinnen des 20. Jahrhunderts. Am Pfingstmontag ist sie 98- jährig in Warschau gestorben.
Guido Erbrich, Bautzen