Warum das Böse fasziniert
Kreuzganggespräch in Erfurt: Psychiater sieht beim Töten eine gottgleiche Macht gegeben
Erfurt (un). Zum letzten der drei diesjährigen Kreuzganggespräche in Erfurt sprach der Heidelberger Professor Thomas Fuchs über "das Böse aus psychiatrischer Sicht.
Wenn auf einem Veranstaltungsplakat am Erfurter Domplatz fett gedruckt "Das Böse" angeschlagen ist, dann macht das die Vorbeigehenden neugierig. Es war daher kaum verwunderlich, dass zahlreiche Hörlustige den Hörsaal Kiliani am Kreuzgang des Domes aufsuchten, um mehr über dieses Thema zu erfahren. "Das Böse ist das Rätselhafte, Verstörende und zugleich das unheimlich Faszinierende", schien der Psychiater und Psychotherapeut Thomas Fuchs nicht nur auf sein Thema hinführen zu wollen, sondern gleichzeitig das große Interesse zu erklären.Doch was ist "das Böse" eigentlich? Es als etwas "Dämonisches" zu beschreiben, wäre zu vereinfachend in Schwarz-Weiß oder Gut- Böse-Kategorien gedacht, gab der Referent zu bedenken. Fuchs verstehe das Böse vielmehr "im Sinne des destruktiven menschlichen Wollens und Handelns".
Es gäbe aber keine angeborene Neigung des Menschen zur Aggression, wie von Thomas Hobbes oder Sigmund Freud behauptet, sondern der Mensch sei primär ein soziales und kooperatives Wesen. Allerdings: "Je zivilisierter der Mensch wurde, desto kriegerischer und grausamer wurde er." Er entwickle eine "einzigartige Destruktivität", so der Psychiater, die sich in Fällen wie dem Amoklauf am Gutenberg- Gymnasium Erfurt oder dem Blutbad zweier Jugendlicher im mecklenburgischen Tessin zeige. Den Tätern, so urteilte Thomas Fuchs, gehe es dabei um Allmacht und Vernichtung, das heißt, um Macht über sich und andere sowie deren physische Vernichtung.
Der Heidelberger Professor sieht dieses Motiv bereits in der Heiligen Schrift, als das Böse durch den Sündenfall in die Welt kam (Genesis 3). Adam und Eva wollten werden wie Gott und aßen vom Baum der Erkenntnis. Sie konnten fortan Gut und Böse unterscheiden, doch das Böse nicht besiegen, wie der Brudermord von Kain an Abel zeigt.
Das Böse lasse sich also einerseits durch die Faszination an der Grenzüberschreitung, der Übertretung von Verboten erklären, sagte Thomas Fuchs. In unserem Leben beginnen die Verbote schon im Kleinkindalter, doch schnell lernen die Kinder, dass sie ein Verbot auch übertreten können, sie also die Wahl zwischen Gut und Böse haben. Mit dieser Entwicklung des freien Willens, des Selbstbewusstseins, beginne die Faszination an der Negation, einem Nein ein Nein entgegenzusetzen, so der Heidelberger Psychiater. "Ich bin der Geist, der stets verneint", führte Thomas Fuchs den Mephisto aus Goethes "Faust" als sinnbildliches Beispiel an.
Andererseits komme im späteren Kindes- und Jugendalter zu dieser Willensfreiheit die Entkopplung von den menschlichen Trieben sowie die Fantasie, mit der eigene Grenzen gedanklich überwunden werden können. Nun sei es wichtig, mit der eigenen Begrenztheit umgehen zu lernen und auch Frustrationen zu ertragen, betonte der Psychiater eine seiner Meinung nach mangelnde Eigenschaft heutiger Jugendlicher. Die Frustration der Jugendlichen habe zugenommen, die Frustrationstoleranz dagegen abgenommen, sagte Thomas Fuchs. Im Mord und Selbstmord kulminiere schließlich die Vorstellung der gottgleichen Macht über andere mit der absoluten Negation sogar von sich selbst.
Das Böse komme im Menschen aber erst zum Zug, "wenn sich der böse Wille bejaht". Doch dieses Moment der Willensfreiheit, der Wahl zwischen Gut und Böse, sei bislang nicht erklärbar, gestand der erfahrene Psychiater. "Wer Böses erfahren hat, muss nicht Böses tun", sagte Fuchs. Prinzipiell könne es jeden treffen, beschrieb der Professor am Beispiel der bis zum brutalen Mord nach außen hin unauffälligen Jugendlichen in Tessin die Problematik der Vorherbestimmung. Für Thomas Fuchs behält der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn also weiterhin Recht mit dem Zitat, das der Erfurter Veranstaltung den Untertitel gab: das Böse gehe "quer durch jedes Menschen Herz".