Roter Faden im Labyrinth
Halle: Podiumsdiskussion zum Tag der Akademie / Broschüre zu Orden im Mittelalter vorgestellt
Welche Rolle spielt das Christentum in der Gesellschaft? Ist es ein roter Faden, um sich in der pluralistischen Welt nicht zu verirren? Muss es für die Menschen noch stärker so etwas wie der Ariadne- Faden werden? Und wenn ja, dann wie?
Für Joachim Klose von der Konrad- Adenauer-Stiftung in Sachsen müssten sich die Christen hierzulande viel stärker in die Gesellschaft einbringen, um roter Faden zu sein: "Sachsen verliert bis 2020 voraussichtlich 25 Prozent seiner Einwohner. Welche Visionen eröffnet die Kirche der hiesigen Bevölkerung, wenn sie sich aus der Fläche dieser Region mehr und mehr zurückzieht?" fragt Klose. Und: "Sind wir als Christen gut aufgestellt für das Gespräch mit dieser Gesellschaft?"
Für den Generalvikar des Bistums Magdeburg, Raimund Sternal, gilt es immer wieder, den Sinn und Zweck von Kirche zu bedenken und Fragen wie "Wofür soll es Kirche hier und heute geben? Was haben die Menschen davon?" zubeantworten. Zugleich aber müsse Kirche in ihren gegenwärtigen Wandlungsprozessen und ihrer Überalterung selbst erst einmal schauen, wo und wie Gemeinde Jesu leben kann.
Der ACK-Vorsitzende in Sachsen- Anhalt, Pfarrer Jürgen Dittrich hält bei all dem ein enges ökumenisches Miteinander für unabdingbar. "Wenn die Kirchen nicht zusammenfi nden, haben sie ihren Auftrag verfehlt", so Dittrich nachdrücklich. Wer sich auf den anderen ernsthaft einlässt, wird merken, dass das Zusammenrücken schmerzhaft sein kann. Aber bei einem Anteil von unter 20 Prozent Christen in den neuen Bundesländern "geht es nicht mehr, nur die eigenen Besitzstände zu wahren".
Theolgie-Professorin Regina Radlbeck-Ossmann bildet in Halle Religionslehrer aus. "Wenn mit Bildung gemeint ist, Menschen zu befähigen, sich selbst ein Bild von der Welt zu machen, gehört die Vermittlung von Religion zur Bildungsarbeit", betont sie. Selbstverständlich müsse man sein Gegenüber nach den Gründen fragen, warum sie oder er zum Beispiel nicht an Gott glaubt. "Aber ich werde auch meine Gründe für den Glauben darlegen. Denn wenn ich überzeugt bin, dass mein Welt- und Glaubensverständnis das schlüssigste sind, habe ich die ethische Verpfl ichtung, das Gute den anderen Menschen weiterzusagen", so die Theologin. Selbstverständlich komme es auf die Art und Weise an. Aber unzweifelhaft gehöre Religion auch in die Schule und im Rahmen der konfessionellen Schulen in den ganzen Bereich des Schullebens.
Joachim Klose, der vor seinem Wechsel zur Konrad-Adenauer- Stiftung über Jahre wesentlich die Akademiearbeit des Bistums Dresden-Meißen mitprägte, bezeichnete die katholischen Akademien als "Narrenräume". In den Akademien, so Klose, treffen sich Menschen, "die von ihrer Umwelt nicht verstanden werden". "Wir reden zwar vom missionarischen Auftrag, aber dringen gar nicht bis zu den Menschen vor, so dass sie sich wirklich entscheiden könnten." Deshalb sei es zum Beispiel nötig, Veranstaltungen nicht in den Akademien, sondern in Räumen jenseits von Kirche im politischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Umfeld anzubieten. Seit 18 Jahren, so Klose weiter, gebe es die Möglichkeit, sich als Christ in einer der demokratischen Parteien wie der CDU zu engagieren. Doch nur wenige nähmen dies auf sich. "Es ist anrüchig, mit Macht in Berührung zu kommen", weis Klose. "Doch erst wer Macht hat, kann Dinge politisch gestalten." "Die klassischen Kirchengemeinden denken nicht für den Außenraum. Sie sind wie schon in der DDR eine geschlossene Gesellschaft geblieben." Auch das vielerorts fehlende Angebot einer alternativen Feier zur noch immer verbreiteten Jugendweihe sei ein Zeugnis dafür.
Generalvikar Sternal räumte ein, die Kirche habe in der DDR "den Gegenpart zur Macht" übernommen, weshalb es Berührungsängste gibt. Aber auch in der Kirche gebe es Macht. Wer mit Macht ausgestattet ist, müsse aufpassen, nicht korrumpierbar zu werden.
Ist das Christentum der rote Faden im Labyrinth der Gesellschaft? Sternal kann diese Frage nicht bejahen, sondern sieht Gott im Zentrum: "Gott ist der rote Faden im Labyrinth der Gesellschaft." Und Christen sind von Gott dafür in Dienst genommen, dies deutlich zu machen. "Gott ist längst da, wenn Christen kommen." Insofern gehe es nicht vordergründig darum, eine Partei mit neuen Kräften aufzufrischen, sondern klar zu machen: "Gott ist der rote Faden auch für dein Leben."
Für Akademie-Direktor Hans- Joachim Marchio ist das Nachdenken über die Situation der Gesellschaft und welche Aufgabe dabei der Kirche zukommt, Auftrag jedes Christen. Nicht zuletzt auf dem Hintergrund der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils gelte es Brücken zu schlagen in alle Lebensbereiche, sagte Marchio am Ende der Podiumsdiskussion. Der Bildungsarbeit in allen Generationen und auf möglichst allen Ebenen komme dabei besondere Aufmerksamkeit zu.
Von Eckhard Pohl