Man muss Gott kennenlernen, um ihm zu vertrauen
Anmerkungen zu einem Kinderbuch
"Damit nun keiner von euch denkt: Wer Gott nicht kennt, der ist beschränkt! / Sei ein Geheimnis euch verraten / (Ihr dürft es gerne weit"ersagen): / Der Gottesglaube auf dem Globus / Ist fauler Zauber: Hokuspokus. / Rabbis, Muftis und auch Pfaffen / Sind, wie wir, nur "nackte Affen" / Bloss, dass sie "Gespenster" sehn / Und in lustigen Gewändern gehen. / Dem Ferkel haben sie nichts vorgemacht: / Es hat sie alle ausgelacht … / Und die Moral von der Geschicht‘: / Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!"
Keine Sorge, ich werde nicht verfrüht die Karnevalszeit einläuten. Das kleine Gedicht ist das Schlusswort eines Kinderbuches mit dem Titel: "Wo bitte geht’s zu Gott, fragte das kleine Ferkel. Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen." Der Inhalt des Büchleins ist schnell umrissen: Das kleine Ferkel und der kleine Igel hatten immer geglaubt, es könnte ihnen gar nicht besser gehen. Eines Tages allerdings lesen sie ein Plakat mit der knappen Feststellung: "Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!"
Prompt machen sich die beiden auf den Weg, um diesen Gott zu suchen. Auf einem hohen Berg treffen sie mit drei Gottesmännern zusammen. Ein halbverrückter Rabbi ergeht sich in einer sadistischen Ausmalung der Sintflut, ein feister Bischof feiert in ebenso blutrünstigem Geist den Kreuzestod Christi und ein fanatischer Imam vertritt die Auffassung: "Unsere Hölle ist heißer!" Nach diesem abschreckenden Kontakt mit den Vertretern der Weltreligionen entscheiden sich Ferkel und Igel dann vernünftigerweise für die Devise: "Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!"
Solche Kritik an Religion hat in einer demokratischen Gesellschaft ihre Berechtigung. Auch auf dem christlichen Kinderbuchmarkt gibt es genug, was an Qualität zu wünschen übrig lässt. Dennoch stört mich die Einseitigkeit der Darstellung. Wie soll man jemanden brauchen, wenn man ihn gar nicht kennt? Das gilt schon für eine Beziehung zu anderen Menschen. Und erst recht für ein Verhältnis zu Gott. Man muss Gott kennen lernen, um ihm vertrauen, um ihm glauben und um ihn "brauchen" zu können. Dem Ferkel und dem Igel wurden nur entstellende Gottesbilder vor Augen geführt und somit auch der Weg zu dem verbaut, dem sie vertrauen, den sie lieben und den sie brauchen würden, wenn sie ihn wirklich kennengelernt hätten.
Was können Christen mit Polemik nach Art des Kinderbuches anfangen? Das, was sie eigentlich schon immer anfangen sollten: Gott bekannt machen. Und zwar so, wie er sich selber in der Person Jesu Christi bekannt gemacht hat: als ein den Menschen zutiefst menschlich begegnender Gott. Oder wie es der Theologe Eberhard Jüngel formuliert: "Wenn uns Christenmenschen der gegenwärtige Atheismus dazu herausfordert, diesen Gott bekannt zu machen, könnte man geradezu dankbar dafür sein, dass es noch immer atheistische Polemik gibt."
Pater Bernhard Kohl, Leipzig