Zu Fuß nach Litauen
Der Sollschwitzer Peter Bresan pilgerte über 1 100 Kilometer bis nach Vilnius
Gütig faltet sie ihre Hände. Ihr Blick senkt sich in Demut. Um ihr Haupt herum strahlt die Sonne. Die Mater Misericordiae, das Gnadenbild der Muttergottes am Stadttor Ostra Brama in Vilnius, erreichte Dr. Peter Bresan (75) am Abend des 21. Mai. "Es war ein Gefühl tiefer Dankbarkeit. Die Erfahrung, dass man allein nichts verwirklichen kann - wenn einem nicht die Gnade des Glaubens geschenkt wird", erzählt er. Sage und schreibe 1100 Kilometer pilgerte der Sollschwitzer seit 1. Mai von Wittichenau zu Fuß dorthin mit seinem polnischen Freund Tadeusz Tykocki (56).
Die Intention lag im Dank. Im Dank für die Aussöhnung der Völker Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Gedenken an die unzähligen Opfer. "Sie galt auch dem Dank für die geistigen Gaben, die wir Sorben bei Wallfahrten durch Polen immer wieder erfahren", so Peter Bresan. Seit 1973 pilgern Sorben Jahr für Jahr von Warschau nach Tschenstochau.
Auch Peter Bresan pilgerte sieben Mal diese Route. 2007 lief er mit Tadeusz Tykocki sogar direkt von Sollschwitz nach Tschenstochau. "Das alles hat zu einem bleibenden Austausch geführt", sagt er. Die Fußfallwahrt nach Vilnius rief dies wieder ins Gedächtnis. Sie galt auch dem Gebet für Priesterund Ordensnachwuchs. "Ein kritisches Problem - für Deutsche wie für Sorben", so seine Meinung.
Sein Freund Tadeusz Tykocki, den er vor Jahren in Vilnius als begabten Holzschnitzer bei einer Wallfahrt kennenlernte, ist für die Caritas im Bistum Lomza tätig. Als Tadeusz Tykocki vom Vorhaben Vilnius seines Freundes erfuhr, sagte er spontan. "Wir sollten zusammen gehen. Ich komme nach Sollschwitz." In Wittichenau, am Himmelfahrtstag, segnete Pfarrer Mercin Delenk die beiden nach dem Frühgottesdienst aus. Minimales Gepäck nahmen sie mit. Etwas Brot, Honig, Marmelade, Joghurt, Quark und Suppen. Für die Getränke gab es zum Beifügen Kalzium und Magnesium. Der Wasserbedarf war immens. "In den ersten acht Tagen stand ich mitten in der Nacht auf, weil ich trinken musste", erzählt Peter Bresan.
Täglich standen sie früh um fünf Uhr auf. Um sechs Uhr liefen sie los - mit passendem Schuhwerk, Massai-Sandalen, die das Laufen erleichterten. Sie liefen meist bis zu 15 Stunden täglich. "Ohne dass wir uns hingelegt haben. Ruhepausen legten wir sitzend zum Essen und Trinken ein."
Von Wittichenau über Krauschwitz, Sorau, Sprottau, Glogau, Lissa und Jarocin gelangten sie nach Lichen. Hier erbaute die Kongregation der Marianer innerhalb von zehn Jahren bis 2006 die größte Basilika Polens. Zwei Millionen Pilger aus aller Welt kommen jährlich hierher.
Der Ursprung liegt in der Völkerschlacht 1813 bei Leipzig. Damals wurde der Lichener Soldat Tomasz Klossowski schwer verwundet. "Im Sterben flehte er die Muttergottes an, nicht auf fremder Erde sterben zu müssen", erzählt Peter Bresan. "Sie versprach ihm: ‚Du wirst gesund. Du kommst nach Hause. Doch sorge dafür, dass ein Bild von mir, so wie du mich siehst, dort verehrt wird.‘" In der Tat wurde der Soldat gesund. 23 Jahre später stieß er - auf dem Weg von Tschenstochau nach Lichen - in einem Kornfeld auf dieses Marienbild. Er nahm es mit, heftete es an einen Baum am Grabiner Wald nahe Lichen. "Der Gemeindeschäfer Mikolaj Sikatka betete täglich hier", schildert Peter Bresan. "Die Gottesmutter erschien ihm. Sie bat ihn, dass das Bild in eine Kirche kommt." So entstanden später eine Kapelle und zwei Kirchen. "Mit zunehmender Anziehungskraft für Pilger."
Auch durch Tadeusz Tykockis Heimat Lomza führte die Wallfahrt. Hier trafen die beiden in der Pfarrei Piontnica mit Priestern zusammen. Ebenso mit dem Leiter des Priesterseminars in Lomza. "Es war erstaunlich. Dort gibt es über 100 Theologiestudenten. Und das nur in diesem einen Bistum", schildert Peter Bresan fasziniert.
In Vilnius trafen sie den deutschen Oratorianerpriester Dr. Hans-Friedrich Fischer. Seit 1997 lebt er vor Ort. Er baute dort das Priesterseminar auf und gründete am 10. Mai des erste Oratorium des heiligen Philipp Neri in Litauen. Peter Bresan und Tadeusz Tykocki waren die ersten Gäste. Zwei Tage blieben sie vor Ort.
Auf dem Rückweg standen die beiden vor den Kriegsgräberstätten Lomza. Von 1941 bis 1945 wurden von deutschen Okkupanten an 40 Orten 57 Massenexekutionen verübt. Fast 15 =000 Menschen, darunter viele Kinder und Greise, starben. Peter Bresan und Tadeusz Tykocki gedachten der Opfer. Es war die längste, strapazenreichste, erkenntnisreichste Wallfahrt, die Peter Bresan je erlebt hat. "Wir müssen wieder lernen, mit dem Herzen zu denken und mit dem Kopf zu lieben. Geschenkt wird uns das vor allem durch das Gebet. Alles Materielle ist vergänglich", lautet Peter Bresans Fazit.
Von Andreas Kirschke