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"Dialog auf Augenhöhe"

Vorlesungsreihe an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt zum Thema Mission

Erfurt (mh). "Mission - Konzepte und Praxis der katholischen Kirche in Geschichte und Gegenwart" heißt eine Vorlesungsreihe an der Katholisch- Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Als 1989 aus den Trümmern der untergehenden DDR der ostdeutsche Normalbürger hervortrat, stellte er sich schnell als das für die Religionswissenschaft unbekannte Wesen heraus. Denn den "Homo areligiosus", der etwa zwei Drittel der ostdeutschen Bevölkerung ausmacht, dürfte es gar nicht geben, wenn man davon ausgeht, dass der Mensch unheilbar religiös ist. Wer in den neuen Bundesländern zu Hause ist, wird das anders sehen. Davon ist der Erfurter katholische Theologe und Philosoph Eberhard Tiefensee überzeugt. Was der evangelische Theologe Ehrhart Neubert in seiner Veröffentlichung "Gründlich ausgetrieben" als "Supergau der Religion" bezeichnete, habe eine weltweit einmalige Situation zur Folge: Areligiosität ist nicht Ausnahme, sondern Normalität. Eine ganze Kultur ist betroffen. Und trotz der Rede von der Wiederkehr der Religion handelt es sich nach Tiefensees Ansicht nicht um ein vorübergehendes Phänomen.

Eine wissenschaftliche Baustelle

Bis heute ist der "Homo areligiosus" unterhalb des wissenschaftlichen Radarschirms geblieben, beklagt Tiefensee. Die Forschung bewege sich auf einer wissenschaftlichen Baustelle: Die Schwierigkeiten beginnen schon mit der Bezeichnung - angefangen von Agnostikern über religiös Indifferente bis hin zur häufig gebrauchten Selbstbezeichnung Religions- oder Konfessionsfreie. Ebenso problematisch ist die Frage nach den geschichtlichen Wurzeln. Die Religionslosigkeit lasse sich nicht nur auf die DDR-Zeit zurückführen. Vielmehr reichen die Wurzeln bis in die Zeit der frühmittelaterlichen Christianisierung. Die Gebiete in Europa, die seinerzeit nicht mehr im "Strahlkreis der römischen Kultur" lagen, sondern zwangsweise von oben missioniert wurden, sind heute von der Religionslosigkeit am stärksten betroffen. Auch die häufig zur Erklärung des Phänomens herangezogenen Säkularisierungsthese, wonach im Zuge der Modernisierung einer Gesellschaft Religion und Kirche an Bedeutung verlieren, sei heute so nicht mehr haltbar. Dafür genügt ein Blick auf die religiöse Situation in den USA und den modernen Staaten Asiens.

Für den Sendungsauftrag der Kirche sieht Tiefensee damit eine einmalige Situation gegeben. Bisher konnten "Missionare" sich immer an religiös geprägte Menschen wenden. "Bonifatius hat heilige Bäume gefällt." Jetzt stehe die Kirche in Ostdeutschland Menschen gegenüber, die "ohne Gott gut und auf einem hohen moralischen Niveau leben und für metaphysische Fragen kaum ansprechbar sind". Tiefensee plädiert für eine "Ökumene der dritten Art" (neben der Ökumene unter den christlichen Kirchen und den Weltreligionen). Das bedeutet für ihn: Dialog auf gleicher Augenhöhe, bei dem man den Glauben als Alternative anbieten kann.

Ost-West-Unterschiede im Missionsland Deutschland

Dass die Kirche in Ostdeutschland tatsächlich eigene und neue missionarische Wege geht, zeigte Pastoraltheologin Maria Widl. Sie verglich die Situation im Ostund Westteil des Missionslandes Deutschland und stieß auf deutliche Unterschiede. Diese lassen sich an zwei biblischen Bildern festmachen. Redet der Westen von Mission, benutzt er das Bild des Sämanns, das heißt: Die Christen haben die Botschaft und müssen sie verkündigend unter die Menschen bringen. Demgegenüber verwendet der Erfurter Bischof Joachim Wanke für die ostdeutsche Situation das Bild des Gastmahles, zu dem alle Menschen eingeladen sind. Aufgabe der Christen ist es, zusammen mit den anderen Menschen die Einladung anzunehmen. Bei diesem Ansatz steht für Widl das Diakonische im Mittelpunkt. Als Beispiele dafür nannte sie die Initiativen des Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke wie Lebenswendefeier, Valentinstagsgottesdienst oder Totengedenken. Diese Feiern sind diakonisch ausgerichtet, weil die Kirche damit den Menschen in ihren Freuden und Nöten Raum gibt. Ansätze für diakonisch ausgerichtete Mission gebe es inzwischen auch im Westen, etwa bei der Feier von Sakramenten zu den Lebenswenden, bei der Gestaltung des Weihnachtsfestes, zu dem es viele Menschen in die Kirchen zieht, und im Zusammenhang mit der Renaissance des Pilgerns.

Einen Ost-West-Unterschied, der sich auch in der Haltung zum Thema Mission widerspiegelt, sieht Widl auch im jeweiligen Selbstverständnis der Christen. Während im Westen das Bewusstsein einer verlorengegangenen Volkskirche herrsche, sei im Osten ein hohes Diasporabewusstsein identitätsstiftend. Das hat zur Folge, dass Christen im Westen eher resignieren, zugleich aber auch die Überzeugung entwickeln, es müsse etwas passieren, während die Christen im Osten diese Resignation nicht kennen, allerdings auch nicht die Notwendigkeit sehen, andere auf den Glauben anzusprechen. "Zum Diaspora- Christen gehört das Wissen, um die Minderheitensituation. Außerdem rechnet man gar nicht damit, dass andere für Glaubensfragen ansprechbar sind."

Das wiederkehrende Interesse an Religion sieht Widl als Ansatz für missionarisches Bemühen. Die Kirche müsse sich fragen, wie sie wieder attraktiv für Menschen werden kann. Widls Antwort: Kirche muss auf neue Art und Weise prophetisch werden. Das könne sie, indem sie "Gott und die Götzen in der modernen Kultur" zum Thema macht. Das gilt sowohl für die Konsumkultur, die dem Mammon frönt, wie für die in Ostdeutschland verbreitete Kultur der Selbstverständlichkeit, Gott für ein unmögliches Konstrukt zu halten.

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