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Auf der Suche nach der Mutter

Lida Chodirewa lebte 1946 in einem katholischen Kinderheim. Ihre Mutter fand sie nie wieder.

Als Kind wurde sie mit ihrer Mutter von den Nationalsozialisten verschleppt, saß in Görlitz im Gestapo-Gefängnis. Das Schicksal ihrer Mutter klärte sich erst vor Kurzem.

Lida Chodirewa vor dem ehemaligen Kinderheim in der Görlitzer Blumenstraße. Bis 1946 wohnte sie hier.

Lida Chodirewa ist eine sympathische Dame. Ihre zu einem Zopf gebundenen weißen Haare waren vor langer Zeit einmal dunkel. Sie senkt häufig den Blick, wenn sie spricht, sucht dann den Blickkontakt zu ihren Dolmetscherinnen. Ruhig ist es in dem Café, in dem sie mit ihren Begleiterinnen sitzt.

Das Café ist nur wenige Meter vom Görlitzer Gefängnis entfernt. Ein Ort, den Lida Chodirewa besser kennt, als ihr lieb ist. Sie hat hier einige Monate ihres Lebens verbracht.

1944 wird ihre Mutter verhaftet. Wahrscheinlich leben sie damals in Weißrussland. Genau erinnern kann Lida Chodirewa sich nicht mehr. Sie war erst sechs Jahre alt, damals. Die Nazis deportieren die Mutter, die kleine Lida bleibt immer dabei - auch hier im Gestapo-Gefängnis am Görlitzer Postplatz.

Das Gefängnis ist der Ort, an dem Lida ihre Mutter das letzte Mal sieht. Wegen einer Erkältung soll das kleine Mädchen zu einem Arzt gebracht werden. Der Abschied ist kurz. Schließlich - denken Mutter und Tochter - kommt Lida ja gleich zurück.

Der Arztbesuch findet statt. Auf dem Rückweg geht es aber nicht wieder zur Mutter ins Gefängnis. Ihr neues Zuhause wird das Kinderheim der Borromäerinnen auf der Blumenstraße in Görlitz. Heute befindet sich hier eine Schule der Caritas. "Die Schwestern waren sehr streng", erzählt die 70-Jährige. Nach ihrer Mutter zu fragen, traut sie sich bald nicht mehr.

Zwei Jahre lebt sie hier, bis sie 1946 mit einem Zug, der deportierte Kinder zurück in die Sowjetunion bringt, Görlitz verlässt.

Sie kommt auf die Krim, muss wieder Russisch lernen. Sie lernt ihren Mann kennen. Beide arbeiten bei der Eisenbahn. Zuerst sind sie in Sibirien, dann macht ihre Gesundheit nicht mehr mit. Das kinderlose Paar darf zurück in die Ukraine.

Das Schicksal ihrer Mutter ist seit Kurzem aufgeklärt: Bei einer der letzten Vergasungen ist ihre Mutter im März 1945 in Ravensbrück ermordet worden. Warum sie selbst keine Kinder bekommen konnte, dafür gibt es seit ihrem Besuch in Görlitz auch eine Erklärung: Im Gefängnis wurde Brom unter das Essen der Gefangenen gemischt. Brom schmeckt süß und macht unfruchtbar.

Von Markus Kremser

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