Die Zisterzienserinnen im Brühl
Ehemalige Klosterkirche in Erfurt wurde vor 250 Jahren wiederaufgebaut und neu geweiht
Die geschichtlichen Eckdaten von St. Martini sind schnell erzählt: Bereits im elften Jahrhundert gibt es eine Pfarrkirche im Erfurter Brühl; 1265 erste urkundliche Erwähnung; seit 1309 ist sie zugleich Klosterkirche der Zisterzienserinnen; 1472 Zerstörung beim großen Stadtbrand - 1483 erfolgte der Wiederaufbau im spätgotischen Stil; im 30-jährigen Krieg werden Kirche und Kloster erneut zerstört und erst über 100 Jahre später erfolgte der barocke Neuund Wiederaufbau; am 6. August 1758 findet die Wiedereinweihung der Pfarr- und Klosterkirche statt; wenige Jahre später - 1819 - wird das Kloster aufgelöst, St. Martini besteht als Pfarrkirche weiter.
Pfarrkirche ist das Gotteshaus bis heute geblieben, seit Kurzem als Zentrum einer Filialgemeinde der großen Dompfarrei, die von Dompfarrer Christian Gellrich geleitet wird. Vor Ort im Brühl ist Diakon Matthias Burkert ein fester Ansprechpartner. Ihm und vielen Helfern ist es zu verdanken, dass eine Festwoche gefeiert werden konnte, die neben Gottesdiensten, der Kirchenmusik, und einem Martiniball über die Geschichte der Kirche im Brühl informierte.
Dabei stand besonders der Abend des 30. Juni ganz im Zeichen der klösterlichen Tradition. Zu Gast waren Äbtissin Assumpta Schenkl und drei ihrer Mitschwestern. Gemeinsam leben sie seit einigen Jahren im Kloster Helfta bei Eisleben, wo sie die zisterziensische Tradition neu begründeten. Was macht das Leben einer Zisterzienserin aus, die ganz aus der Regel des heiligen Benedikt lebt? Schwester Corona Bamberg OSB aus dem Kloster Herstelle schrieb in ihrem Buch "Unter der Führung des Evangeliums": "Benedikt will eine Lebensnorm für Menschen unterschiedlichster Herkunft, Begabung, Bildung und auch geistlicher Ausstattung aufstellen. Ihnen allen soll im Rahmen der Tradition gezeigt werden, wie sie auf dem Weg … des klösterlichen Alltags zur vollen Gemeinschaft mit Gott dem Schöpfer und mit Christus, mit der Regel gesprochen: zum himmlischen Vaterland kommen können."
Diese Gemeinschaft mit Gott war und ist für die Zisterzienserinnen und die Zisterzienser bis heute Anspruch. Sie verstehen sich als ein Teil der benediktinischen Familie, aus der sie im 12. Jahrhundert als Reformbewegung entstanden. Grundzüge sind die schon angesprochene Regel mit dem prägenden Bete und Arbeite (Ora et labora), das Leben in der Klausur und das Chorgebet. Äbtissin Assumpta berichtet, wie schnell sich in den ersten Jahrzehnten Frauen für ein Leben in der Reformbewegung interessierten, die sich nach dem Eintritt des heiligen Bernhard von Clairvaux im 12. und 13. Jahrhundert rasant ausbreitete: Allein zwischen Magdeburg und Halberstadt - also auf einen ziemlich begrenzten Raum - befanden sich zirka 20 Frauenklöster der Zisterzienserinnen, aber nur drei Männerklöster. Dieses Ungleichgewicht macht es den Zisterziensern unmöglich, ihrerseits die Seelsorge in den Frauenklöstern des Ordens zu übernehmen. Daher sprangen in den meisten Fällen schließlich die Dominikaner ein, so auch im alten Kloster Helfta. Das Leben dort war von großem Wissensdurst und hoher Bildung geprägt, wie sie sicher auch in Erfurt gepflegt wurde. Äbtissin Assumpta berichtet von ihrer großen Vorgängerin Gertrud von Hakeborn (Amtszeit von 1251 bis 1291), der diese Bereiche ein großes Anliegen war. "Im Vergleich mit heute kann ich sagen, dass jede der in Helfta lebenden Schwestern zur Zeit Gertruds eine Bildung hatte, die dem Abschluss einer akademischen Ausbildung an einer Universiät entspricht", betont die Helftaer Schwester weiter. Zudem war die Bildung auch eine gute Grundlage der Mystik, derer Repräsentantinnen im 13. Jahrhundert die drei Helftaer Frauen - Mechthild von Magdeburg, Gertrud von Helfta und Mechthild von Hakeborn waren. Ansonsten waren die Zisterzienserinnen neben einem intensiv gepflegten Gebets- und Glaubensleben auch zur Arbeit verpflichtet. Handschriften wurden illustriert und vervielfältigt, Arzneimittel hergestellt, Handarbeiten wie Weben, Spinnen und Sticken gepflegt.
Während das Leben im Kloster Helfta im 16 Jahrhundert endete, konnten die Schwestern in Erfurt bleiben. Der Neu- und Wiederaufbau des Klosters im 18. Jahrhundert lässt auf einen neuen Aufbruch klösterlichen Lebens schließen, der mit der Auflösung 1819 jedoch endete. Was blieb, ist eine wunderschöne Kirche und eine lebendige Gemeinde, die im Untertitel ihrer Festschrift auf die reiche Tradition verweist: "Gestern hat das Morgen begonnen, das wir heute feiern."
Von Holger Jakobi