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In der Gottesferne Gott nah

Geistliche und künstlerische Impulse einer Tagung zu einem Wort Mechthilds von Magdeburg

Magdeburg. Ist Gott heute weithin abwesend? Kommt er ausgerechnet Menschen nah, die gar nicht mit ihm rechnen? Und wie kann der, der Gottes Abwesenheit schmerzlich erfährt, sie wie Mechthild von Magdeburg vor 800 Jahren als "selige Gottesfremde" deuten?

Musiktherapeutin Schwester Angelika Kollacks lud die Teilnehmenden wiederholt ein, ihrem Denken, Fühlen und Glauben Klang zu verleihen.

Es war eine sehr konzentrierte Viertelstunde. Die 38 Teilnehmerinnen und zwei Teilnehmer des Seminars "Gottesferne - ganz nah" sollten mit einem selbst ausgesuchten Musikinstrument jeweils kurz hörbar machen, wie sie sich Gottes Nähe und wie Gottes Ferne vorstellen. Was folgte, waren sehr intensive und dichte Minuten des Lauschens.

Glänzt Gott heute durch Abwesenheit? Kommt Gott ausgerechnet denen nah, die gar nicht mit ihm rechnen? Und wie kann der, der Gottes Abwesenheit schmerzlich erfährt, sie wie Mechthild von Magdeburg vor 800 Jahren als "selige Gottesfremde" deuten? Fragen, wie sie im Mittelpunkt der Fachtagung "Gottesferne - ganz nah" vom 4. bis 6. Juli in Magdeburg standen, zu der die Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz in Kooperation mit der Hauptabteilung Pastoral des Bistums Magdeburg eingeladen hatte. Dabei näherten sich die Teilnehmenden dem Thema nicht nur im Wort, sondern auch über die Musik und die bildende Kunst. Und auch eine Exkursion auf den Spuren Mechthilds durch Magdeburg mit Maria Faber vom Bistum stand auf dem Programm.

Gottesnähe und Gottesferne in Kunst und Musik


Musik- und Gestalttherapeutin Schwester Angelika Kollacks von den Missionsärztlichen Schwestern in Berlin hatte die vielfältigsten Instrumente mitgebracht und lud die Teilnehmenden wiederholt ein, sie zu nutzen, um damit ihrem Denken, Fühlen und Glauben Klang zu verleihen. Angeregt durch Texte Mechthilds von Magdeburg bemalte die Heidelberger Künstlerin Dr. Benita Joswig in Vorbereitung und während der Tagung Fenster des Roncalli-Hauses mit Wasserfarben, in die sie Mechthild-Worte gravierte. (Tag des Herrn berichtete in Ausgabe 26 vom 29. Juni) Zudem stellte die Berliner Bildhauerin Renate Wiedemann einige ihrer Werke vor.

Die Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge und Leiterin der Tagung, Privatdozentin Dr. Hildegund Keul, beobachtet mit anderen in Deutschland eine neue Hinwendung zur Religion. Viele Menschen würden sich zwar nicht als religiös bezeichnen, seien aber besonders an Lebenswendepunkten hellhörig. Zudem würden religiöse Themen stärker als zuvor öffentlich diskutiert, so die Theologin. Es gebe zwar "nicht unbedingt eine wachsende Frage nach Gott", wohl aber jenseits des Christlichen ein zunehmendes Interesse an religiösen Fragen, die Suche nach etwas, das "die Profanität der Welt, die Ausrichtung auf Funktion und Zweckmäßigkeit überschreitet". Insofern sei heute "eine Pastoral nötig, die bei der Gottesferne ansetzt". Vielleicht könne die Erfahrung der Gottesferne Christen und Nichtgläubige verbinden, so ihre Vermutung.

Nach Ansicht von Dr. Gotthard Fuchs ist heute keine Zeit der Gottesferne, sondern wie stets eine der Gottesnähe. Allerdings sei das Wort Gott so eng mit der Kirche und ihrem Ballast aus der Geschichte verbunden, dass es schwer sei, zu Gott hindurch zu dringen, so der Priester, Theologe und Fachmann der christlichen Kulturgeschichte. "Es geht nicht um einen Überbau, es geht um die Wirklichkeit", so Fuchs. Die Frage sei heute nicht, ob Gott oder nicht, sondern welcher Gott. Bei der Suche nach ihm komme es angesichts der Erfahrung des Schönen und des Schrecklichen darauf an, sich wie die Mystiker von ihm finden, anreden, ergreifen und überwältigen zu lassen und Antwort zu geben. Dies sei Arbeit. Und Gott sei durchaus "lästig". Für die Mystiker sei es oft ein langer, von Leiden geprägter Prozess gewesen, bis sie Gott wirklich gefunden haben. "Der Gott der Moral und des Denkens ist uns heute abhanden gekommen. Wir sollten froh darüber sein", so Fuchs.

Wie sehr das Thema der Gottesferne bereits in der Bibel und dort nicht zuletzt auch im Neuen Testament präsent ist, machte Professorin Schwester Margareta Gruber aus Vallendar an Texten des Markus- Evangeliums deutlich. Die Siesener Franziskanerin verglich die Perikopen von Taufe, Verklärung, Tod und Auferstehung Jesu. Gott ist unter den Menschen, aber sie erkennen ihn nicht, so ein Tenor bei Markus. Dies sei auf dem Berg der Verklärung so. Unter dem Kreuz ist es "nur" ein heidnischer Hauptmann, also ein dem Augenschein nach Gott Ferner, der das deutende Wort spricht: Dieser Jesus war Gottes Sohn. Und noch am Auferstehungsmorgen erkennen die Frauen nicht, was geschehen ist. Sie werden von Schrecken und Entsetzen gepackt.

Gott unter den Menschen von Berlin-Marzahn


Im Sterben, so Professorin Gruber, "sieht Jesus Gott nicht", durchlebt selbst Gottesferne. Und zugleich zerreißt der Vorhang im Tempel, und der Blick wird frei auf das Allerheiligste, auf Gott: Gott ist ganz nah unter den Menschen. "Erst in Tod und Auferstehung bekommen die Jünger Jesu damals und heute den Schlüssel in die Hand, um im Geist Gottes seine Nähe erkennen zu können." Im Betenden-sich-darauf-Einlassen, in der Kontemplation, können Menschen spüren, dass der ferne Gott nah ist, weil er nahegekommen ist: Der Schrei Jesu, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, ist "als ausgehaltene Nichtbeziehung radikalster Ausdruck von Beziehung" zu Gott. "In Christus, dem am Kreuz Gottfernen, kommt Gott den Menschen in seiner Gottesferne ganz nah. Und deshalb wird die Gottesferne, die ein Mensch durchlebt, in den Augen Gottes zur Nähe, weil sie den jeweiligen Menschen seinem geliebten Sohn ähnlich macht." Mechthild von Magdeburg mit ihrem Wort von der "seligen Gottesfremde" und andere Mystiker hätten dies mit ihren Möglichkeiten buchstabiert.

Erfahrungen der Nähe Gottes in scheinbarer Gottesferne schilderte die Missionsärztliche Schwester Michaela Bank aus Berlin-Marzahn. Ich habe in diesem riesigen DDR-Neubaugebiet "angefangen zu entdecken, dass die Sehnsucht nach Leben und nach der Quelle im Menschen unzerstörbar ist", sagt die Ordensfrau, die ursprünglich aus Köln stammt. "Gott ist präsent in Marzahn/Hellersdorf, wie ich es so in der Kirche nicht erlebe." So sei zum Beispiel eine Frau zu ihr gekommen, die vier Kinder abgetrieben hat und keine Ruhe fand, und der sie helfen konnte. Schwester Michaela: "Ich habe gelernt: Ich bringe aus meinem Leben ein Glaubensinstrumentarium mit, das ich für die Menschen in Marzahn neu übersetzen muss und dennoch dabei den heilenden Christus bringen kann." Auch im Rahmen ihrer Mitarbeit in der Notfallseelsorge oder bei Beerdigungen, zu denen sie nicht selten gerufen werde, habe sie ganz dichte Erfahrungen der Nähe Gottes bei den Menschen im Osten Berlins gemacht, ohne dass diese sagen würden, sie glauben an Gott. Zwar habe sich in 16 Jahren nur einmal jemand taufen lassen. Doch zu einem monatlichen Gebetskreis zum Beispiel käme eine Reihe unterschiedlichster Suchender. "Wir ermutigen die Leute dazu, in sich hineinzuhorchen und sich klar zu machen: Ich bin geliebt. Ich bin gewollt", sagt Schwester Michaela. "Und auf die wiederkehrende Frage nach dem vielen Leid sage ich den Menschen, dass auch ich keine Antwort habe. Was ich aber tun könne sei, Gott dieses Leid entgegen zu schreien."

Von Eckhard Pohl



Infos

Die Arbeiten von Benita Joswig sind bis Sommer 2009 im Roncalli- Haus zu sehen. Das Haus gegenüber der Kathedrale St. Sebastian ist in der Woche von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Tel. 03 91 / 5 96 14 00. Mehr unter: www.benita-joswig.de; www.frauwiedemann.de

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