Widerstand
Gedanken zum 20. Juli
An diesem Sonntag jährt sich der Tag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Der Bombenanschlag durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg scheiterte und dennoch ist er zum Sinnbild für den Widerstand gegen zutiefst menschenverachtende, barbarische politische Verhältnisse geworden.
Widerstand leisten, rebellieren kann ein Mensch gegen ein Leben, das ihm sinnlos oder unwürdig erscheint. Immer wenn ein Mensch zum Rebellen wird, ist eine Grenze des Erträglichen überschritten. An diesem Punkt wird auch deutlich, dass Widerstand sich nicht ausschließlich gegen etwas richtet. Es ist ihm auch an etwas gelegen, das er schützen möchte, weil es ihm wertvoll ist. Wer Ungerechtigkeit anklagt, möchte Gerechtigkeit. Wer sich gegen Sinnlosigkeit wehrt, verlangt nach einem Sinn. Jeder Widerstand kennt also neben dem Nein immer auch ein Ja.
Diese beiden Seiten des Widerstandes können dabei zum Widerspruch werden, wenn ein Mensch nur unter Leugnung seiner eigenen Prinzipien widerstehen kann. Wenn er etwa Gewalt mit Gewalt bekämpft oder Lüge mit Lüge. Der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus beschreibt dieses Dilemma so: "Nur mittelmäßigen Herzen fällt es leicht, diesen Konflikt zu lösen. Für hochgespannte Herzen ist dies ein schreckliches Problem, aus dem sie oft keinen Ausweg finden, auch wenn es sie in den eigenen Tod treibt."
Als Christen stehen Menschen gewissermaßen ständig in diesem Konflikt. Auch wenn es heute in europäischen Breiten keine diktatorischen Systeme mehr sind, denen es zu widerstehen gilt, so stellt sich doch die Frage, wie man Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit in einer Demokratie widerstehen kann, die Krieg und Gewalt, die Unrecht nicht tun will, es aber duldet? Welchen Ausweg gibt es aus dieser Mittelmäßigkeit des Herzens?
Das Buch der Weisheit gibt eine äußerst provozierende und faszinierende Antwort: "Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht [...] Durch solches Handeln hast du dein Volk gelehrt, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss [...]" (Weish 12,18- 19) Milde und Menschenfreundlichkeit sind in den Augen Gottes eindeutige Zeichen von Stärke. Sie sind die wahren Alternativen im Teufelskreis von Gewalt und gleichgültiger Duldung. Aber nicht nur als Geschenk an die Gläubigen, sondern auch als Anspruch: Christen sind aufgefordert die Milde und Menschenfreundlichkeit Gottes nachzuahmen. Milde und Menschenfreundlichkeit Gottes ermöglichen den Menschen täglich einen Neuanfang. Dieser tägliche Neuanfang selbst ist schon Widerstand gegen alltägliche Lethargie und Ungerechtigkeit. Dieser tägliche Neuanfang kann schon ausreichen, um mit hochgespanntem Herzen für ein sinngefülltes Ja einzutreten..
Pater Bernhard Kohl OP Leipzig