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Die ersten vier der neun Typen

Enneagramm (Teil 3)

Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4

Die beiden letzten Teile der Serie über das Enneagramm geben einen Überblick über die "Neun Gesichter der Seele". Zur Verdeutlichung der Anordnung und der Beziehungen der verschiedenen Typen dient die kreisförmige Darstellung:

Typ 1: "Einser" sind Idealisten mit einer tiefen Sehnsucht nach Wahrheit, Gerechtigkeit und moralischer Ordnung - nach Vollkommenheit. Sie tun sich schwer, Fehler, Schwächen oder Unzulänglichkeiten zu akzeptieren und in einer "so schrecklich unvollkommenen" Welt zu leben. Das macht sie regelrecht wütend. "Einser" sind auch sehr bedacht auf Eigenständigkeit und Autonomie, haben eine ausgeprägte Selbstkontrolle und sind sehr empfindlich gegenüber Disziplinierung und Kritik von außen. Ihr "innerer Kritiker" (Zensor) hinterfragt sie ja schon ständig, ob denn auch alles, was sie denken und tun, richtig und gut ist.

"Einser" haben große Probleme mit unechten Autoritäten, Fremdbeherrschung bringt sie in Zorn. Das positive Streben nach Vollkommenheit wird auf der Schattenseite zum Perfektionismus, der deshalb ihre "Falle" ist. "Einser" wirken oft ernsthaft, zu problemorientiert und zu vernunftbetont. Sie erwecken manchmal den Eindruck von Überheblichkeit. In Beziehungen können sie sehr aufrichtig, vertrauenswürdig und zuverlässig sein.

Wenn sie in ihre Selbstverstrickungsspirale und Streß geraten, führt sie das in der Enneagrammdynamik mit der Pfeilrichtung zu den negativen Aspekten von Typ 4 - zu unbarmherziger Selbstkritik und melancholisch depressiver Stimmung ("Weltschmerz"). Integrierend und aufbauend wirkt eine Bewegung gegen die Pfeilrichtung zu den Positivaspekten von Typ 7 - heiterer Gelassenheit und dankbarem Genießen des Positiven, das schon da ist, und der Fähigkeit, in Geduld die Dinge wachsen und reifen zu lassen.

Typ 2: "Zweier" sind stets um das Wohlergehen ihrer lieben Mitmenschen bemüht, erfassen instinktiv, was ihnen fehlt oder gut tun würde und sehen um sich lauter "Hilfsbedürftige". Eigene Wünsche oder Nöte werden hinten angestellt oder gar nicht wahrgenommen. Kontakte und Beziehungen sind sehr wichtig für sie und werden gepflegt. Das Selbstwertgefühl und die Selbstbeziehung stehen im funktionalen Zusammenhang mit der Wertschätzung und Reaktion der anderen. "Zweier" wollen sich nützlich und unentbehrlich machen, um damit die Liebe und Wertschätzung der anderen zu "verdienen". Sie können dadurch oft stark vereinnahmend und aufdringlich wirken, wenn man ihnen zu wenig Beachtung schenkt.

Der Schattenaspekt ist die manipulativ-berechnende Helferstrategie. Unter Druck und Streß gehen "Zweier" in die Richtung der "rächenden" "Achter". Wird ihr Dienst nicht gelobt und gedankt, können sie aggressiv werden und ehemalige Freunde hinter dem Rücken schlecht und lächerlich machen. Als Geschenk können "Zweier" anderen das geben, was sie selbst am meisten brauchen: positive Wertschätzung. Sie stellen einen Beziehungsraum zur Verfügung, in dem das Selbstwertgefühl des anderen wachsen kann. Zu Integration und innerer Reife führt es, wenn "Zweier" sich gegen die Pfeilrichtung zu Typ 4 bewegen und erkennen, daß man Liebe und Zuwendung nicht "verdienen", sondern nur dankbar als Geschenk annehmen kann, daß man einmalig ist und stolz darauf sein darf.

Typ 3: "Dreier" können Aufgaben effektiv und kompetent erledigen. Es fällt ihnen leicht, sich persönliche Ziele zu setzen, sie auch zu erreichen, sowie andere zu begeistern und zu befähigen, ebenfalls voranzukommen. Sie haben ein Gespür für die Dynamik von Arbeitsgruppen, identifizieren sich mit ihrer "Firma" und sorgen für ein gutes Klima. Größte Schwierigkeiten haben sie mit der Wahrnehmung ihrer eigenen Gefühle. Ihnen geht es um Erfolg und Image. Sie können hart arbeiten, sind aber gleichzeitig auch sehr abhängig von Lob und Anerkennung. Um das Bild des "Erfolgsmenschen" aufrechtzuerhalten, müssen Probleme und Schwierigkeiten ausgeblendet oder umgedeutet werden, notfalls mit kleinen "Betrugsmanövern" ("wahr ist, was funktioniert"). Beziehungen werden auf Nützlichkeit hin geknüpft. "Dreier" identifizieren sich mit ihrem Erfolg, Mißerfolg stellt ihre ganze Person in Frage. Wenn der "Dreier" sein Image vor sich und vor anderen nicht mehr aufrecht erhalten kann, verliert er seinen Optimismus, wird handlungsunfähig und träge (Pfeilrichtung zu Typ 9).

Wachstum und Reifung sind möglich in der Bewegung entgegen dem Pfeil zu Typ 6, indem sie stärkere Loyalität zu ihren Mitarbeitern entwickelt und sich den Gruppennormen unterstellt. Das schützt sie vor der Gefahr, andere nur als Mittel zum Zweck des eigenen Erfolgs zu gebrauchen, was besonders für ihre familiären Beziehungen von Bedeutung wäre. Der "Dreier" gewinnt als Persönlichkeit, wenn er die Eigenschaften der "Kopfmenschen" entwickelt, indem er sich um Objektivität gegenüber dem gesellschaftlichen Kontext bemüht und erkennt, welchen Anteil er selbst zum Gemeinwohl beitragen kann. So kann er integriertes Glied einer Gemeinschaft werden und emotionale Beziehungen leben.

Typ 4: "Vierer" sind sehr sensibel und fast immer künstlerisch begabt. Sie erfassen Stimmungen und Gefühle anderer Menschen und die Atmosphäre von Orten und Ereignissen mit seismografischer Genauigkeit. "Vierer" vermeiden alles, was "gewöhnlich" ist. Dennoch beneiden sie die anderen oftmals um ihr "ganz gewöhnliches" Glück. Sie möchten durch Individualität Aufmerksamkeit erregen und die Echtheit von Gefühlen ist für sie sehr wichtig. Traurige und schmerzliche Gefühle werden voll ausgekostet bis hin zur Melancholie. Typ 4 ist von allen Enneagrammustern am stärksten auf sich selbst bezogen und kreist um die existentielle Frage: Wer und wie bin ich eigentlich wirklich? Jede Art von künstlerischer Betätigung ist eine Möglichkeit für sie, ihr "Eigenes" kreativ zu symbolisieren. Ihr Grundgefühl ist untergründiger Schmerz und Unverstandensein. In Beziehungen wirken "Vierer" oft anstrengend und mimosenhaft. Sehr positiv wirkt ihre Fähigkeit, sich emotional ganz in den anderen hineinzuspüren und ihm das Gefühl zu vermitteln, zutiefst verstanden zu werden. Das hilft dem anderen zu sich selbst zu finden und authentische Wege zu gehen.

Die Selbstverstrickungsspirale führt sie durch inneres Verlorenheitsgefühl zu hilfsbereiter Abhängigkeit (Typ 2), was sie letztendlich noch unglücklicher und voller Neid auf andere werden läßt ("tragische Romantiker"). Bewegen sich "Vierer" entgegen ihrem zwanghaften Antrieb in Richtung Typ 1, geben sie ihre defensive Einstellung gegenüber der Umwelt auf. Sie bemühen sich dann, die Umstände zum Guten zu verändern statt zu lamentieren. Sie gelangen zur Einsicht, daß sie ihre Sensibilität und Kreativität als Gaben empfangen haben, um sie zum Besten für die menschliche Gemeinschaft einzubringen.

Elisabeth Maulhardt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.06.1998

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